Der Ski-Star und die Zauberpilze

Mit der nicht immer ganz harmonischen Ver­gangenheit im Ski-Kader hat er abgeschlossen. Eine neue Leidenschaft erfüllt die Abfahrtslegende. «Pitsch» von einer anderen Seite.

Mürrisch sei er, nehme kein Blatt vor den Mund, teile laut aus, stosse sein Gegenüber gerne vor den Kopf. All diese Attribute, die dem weltweit zweitbesten Abfahrer der Geschichte zugeschrieben werden, schwirren durch meinen Kopf. Peter Müller scheint zwar erfreut, dass wir ihn besuchen. Doch was, wenn ich ihm nicht sympathisch bin? Ich fahre mit gemischten Gefühlen nach Einsiedeln SZ, wo «Pitsch» im Sommer 2020 ein neues Sportfachgeschäft eröffnet hat.

Als ich ins «Mythen Sport» eintrete, trinkt der Fotograf bereits Kaffee mit dem Adliswiler, der zwischen Zürichsee und Üetliberg aufgewachsen ist. Es gibt eine zurückhaltende, aber freundliche Begrüssung und auch für mich Kaffee. Eigentümlich: Der 63-Jährige schaut mir nicht in die ­Augen. «Kurz nach der Eröffnung habe ich meinen neuen Laden wegen der Pandemie gleich wieder schliessen können», erläutert Müller. Er spricht eher leise und bedacht. Es ist nicht das erste Mal, dass er in seiner Nach-Ski-­Karriere beruflich Pech hatte: Eine Immobilienfirma, in die er investiert hatte, ging Konkurs. Wie sieht es nun mit der Pension aus? «Ich arbeite nur noch zum Spass», ­betont er und lächelt wissend. An der Börse habe er genug ­verdient, um sich keine Sorgen ­machen zu müssen.

Je länger das Gespräch dauert, desto intensiver wird der Blickkontakt mit seinen stahlblauen Augen.

Pitsch, der Aussenseiter, mit dem niemand das Zimmer teilen wollte während seines ersten Trainingslagers mit dem Ski-Kader. Es passte den Berglern nicht, dass ein Flachländer in ihr Hoheitsgebiet vordrang. Und neben Pirmin Zurbriggen (58) zu einem der sichersten Werte des Schweizer Ski-­Alpin-­Sports während der gloriosen 80er-Jahre wurde. «Im Nachhinein wünschte ich, dass es damals harmonischer gewesen wäre im Team. Man hätte früher mit­einander sprechen sollen und alles in richtige Bahnen lenken», sinniert er. «Aber ich war auch selbst schuld, habe mich immer sehr direkt geäussert.»

Die Sticheleien seiner Kollegen und der Medien trieben Müller erst recht an. «Während die anderen Kuchen assen, schwitzte ich im Fitnessraum», weiss er noch. Er kannte es nicht anders: Schon als 13-Jähriger buckelte er in Adliswil ZH nach der Schule 40 Torstangen und lief damit im Skidress auf den Üetliberg. Dort präparierte er sich selbst eine Piste. «1000 Stangen pro Tag fahren, war mein Ziel», erzählt er. Dass ihn die Klassenkameraden deswegen belächelten, bremste seinen Eifer natürlich nicht, im Gegenteil.

Die Leidenschaft für die Latten hat Peter Müller übrigens von seinen Eltern, mit denen er von Kindsbeinen an regelmässig Skitouren unternahm. Mit völlig ungeeigneten Tourenski trat der junge Peter sein erstes Rennen an – die Häme der korrekt ausgerüsteten Kontrahenten inklusive.

Heute geht Peter Müller mit ähnlicher Hingabe dem OL (Orientierungslauf) nach. Dieses Hobby teilt er mit seiner jüngeren Tochter Sandrine (26) aus erster Ehe: «Sie ist auf dem Sprung in die Nationalmannschaft, wurde im OL schon 40-mal Schweizer Meis­terin», sagt der Vater nicht ohne Stolz. Er bevorzugt den Bike-OL, die Variante mit dem Mountainbike. Müller fährt bei den Senioren mit, geht an Bike-OLs in der ganzen Welt. «Man trifft immer dieselben Leute wieder. Das ist wie eine Familie», schwärmt er. «Es ist schön, zu erleben, dass man Sport auch im Guten zusammen betreiben kann.»

Nachdem wir so viel über Bike-OL gehört haben, möchten wir auch etwas sehen. Müller zieht sein Rad-Dress an, packt das Mountainbike in den Kofferraum, und auf geht’s in die Höhe im zügigen Tempo eines Ortskundigen – zumindest bei ihm. Wir kriechen auf der Serpentine hinterher. Er will uns bei der Gelegenheit auch noch die Aussicht auf die Berge zeigen – und über welche er schon mit dem Bike gefahren oder ge­laufen ist.

Oben angekommen, fährt er über eine gemähte Wiese. Plötzlich stoppt er und zeigt nach unten: «Schau, das sind Zauber­pilze!» Ohne viel Nachdenken, pflücke ich ein paar. Jetzt lacht Müller laut hinter mir: «Das hab ich noch nie erlebt, dass die jemand nimmt.» Das Eis ist end­gültig gebrochen. Er legt den Arm um meine Schultern und bittet den Fotografen um ein Erinnerungsbild von uns mit den Pilzen. «Ich habe nie welche probiert. Aber wenn sie gut waren, meldest du dich, dann machen wir das mal zusammen», meint er scherzhaft. Die Schwämme landen am Ende im Abfall. Die Risiken für Un­kundige seien gross, warnt Müller, der im Gegensatz zu mir ein passionierter Pilzsammler ist und sich bestens auskennt.