
Wie im Gabentempel: Das Schwingerstübli des zweifachen Königs Ernst Schläpfer ist reich bestückt.
Ernst Schläpfer
Der König geniesst das Rentnerleben
Der zweifache Schwingerkönig war in den 1980er-Jahren ein ganz Böser seiner Zunft. Als Rentner ist er milder geworden. Gemeinsam mit seiner Jugendliebe Christina füllt er die Tage mit Leben und nicht das Leben mit Tagen.
Von Thomas Wälti
Der Autor dieser Zeilen sitzt im Schwingerstübli von Ernst Schläpfer (69) – und schwelgt. So sieht es also aus, wenn man als Böser im reich bestückten Gabentempel einen Preis auswählen darf. An der Wand hängen Treicheln mit bestickten Riemen, Schellen und Alphörner, auch Stabellen, Schnitzwerk und Trophäen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. «Jeder der etwa 60 Preise hat seine eigene Geschichte», erzählt der Schwingerkönig von 1980 und 1983 im Kellergeschoss seines stattlichen Wohnhauses in Neuhausen am Rheinfall SH. «Diese Auszeichnungen bedeuten aber nicht, dass ich alle Schlussgänge gewonnen habe. Die 40 Muneli, die ich als Sieger erwerben konnte, sind nur noch im Kopf präsent. Mit der Muni-Herde habe ich unter anderem mein Agronomie-Studium an der ETH Zürich finanziert», sagt der gebürtige Appenzeller und lächelt verschmitzt.
Im Schwingerkosmos voller Handwerker und Landwirte ist Dr. Ernst Schläpfer bis heute der einzige Schwingerkönig mit einem Doktortitel.
Siegerpreis erinnert an die Eltern
Ernst Schläpfer bittet seinen neugierigen Gast in die Wohnstube. «Am meisten Freude habe ich an diesem Preis», sagt der Gewinner von 49 Kranzfesten. «Mein Vater war OK-Präsident des Appenzeller Kantonalschwingfests 1982 in meiner Heimatgemeinde Wolfhalden. Er hat diesen Bauernschrank als Siegerpreis gespendet, meine Mutter hat ihn bemalt. Die Bauernmalerei war ihr grösstes Hobby.»
Seit nunmehr fünf Jahren geniesst Ernst Schläpfer das Rentnerleben in vollen Zügen. Nach einem Kompetenzgerangel mit dem damaligen Regierungsrat und Erziehungsdirektor Christian Amsler wurde Schläpfer kurz vor der ordentlichen Pension nach 30 Dienstjahren als Rektor des kantonalen Berufsbildungszentrums (BBZ) Schaffhausen freigestellt.
Seither hält er sich an das Lebensmotto: «Fülle die Tage mit Leben und nicht das Leben mit Tagen.» Gerade packt er die Koffer, um mit seiner Frau Christina (66) in die Bretagne zu fahren. «Wir freuen uns, im Nordwesten Frankreichs mit den Velos der Atlantikküste entlangzufahren», sagt die Schwing-Legende. «Reisen bedeutet uns sehr viel. Wir geniessen aber auch unser Haus mit dem wunderschönen Garten und die regelmässige Abkühlung im nahegelegenen Rhein.»
Im nächsten Jahr feiern sie Silberne Hochzeit
Christina ist Ernst Schläpfers Jugendliebe. Er hat sie auf dem elterlichen Bauernhof kennengelernt, wo er mit vier Geschwistern aufgewachsen ist. «Schliesslich haben wir beide jemand anderen geheiratet. 20 Jahre später sind wir uns aber wieder über den Weg gelaufen und haben es nochmals probiert», erzählt Ernst Schläpfer. 1998 zog das Paar zusammen, 2001 folgte die Hochzeit. «Nächstes Jahr feiern wir die Silberne Hochzeit.» Aus den früheren Beziehungen brachte Ernst Schläpfer drei und Christina vier Kinder in die Ehe.
Ernst Schläpfer ist noch immer eng mit dem Schwingsport verbunden. Eben hat er als Co-Autor seine grosse Erfahrung ins Manual «Schwingen für Kinder und Jugendliche» einfliessen lassen. Das Handbuch dient angehenden Trainerinnen und Trainern als kompakter Wegbegleiter im Rahmen der J+S-Grundausbildung. Zudem trainiert er einmal pro Woche in Schaffhausen die Nachwuchsschwinger. Und ja: Am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Mollis GL (29. bis 31. August) wird er im Stadion sitzen. «Vor Ort sieht man einfach mehr», begründet er seinen Besuch.
Ernst Schläpfers Favorit heisst Fabian Staudenmann
Wer im Glarnerland gekrönt werde, sei schwierig vorauszusagen, sagt Schläpfer. «Ich hätte Freude, wenn der Beste Schwingerkönig wird. Und der Beste scheint gegenwärtig Fabian Staudenmann zu sein!» Der 25-jährige Berner sei der Beweglichste, Vielseitigste und Konsequenteste aller Spitzenschwinger. Aber nicht immer gewinne der Favorit, das wisse er aus eigener Erfahrung, sagt Schläpfer. Um anzufügen: «1986 gewann ich alle Schwingfeste und blieb dabei ohne Niederlage. Dann kam das Eidgenössische in Sion. Im Schlussgang musste ich gegen Harry Knüsel die einzige Saisonniederlage einstecken. Das muss man akzeptieren. Fertig. Punkt.»
Der Nationalsport hat Ernst Schläpfer viel gegeben: «Er war meine Lebensschule. Ich habe gelernt, Anerkennung und Respekt gegenüber anderen zum Ausdruck zu bringen. Mit Harry Knüsel zum Beispiel verbindet mich bis heute eine schöne Freundschaft – Jass im Schwingerstübli inbegriffen.» Der Schwingsport habe sich seit seinem Rücktritt 1987 aber stark verändert, sagt Schläpfer. «Das mediale Interesse hat massiv zugenommen. Zu meinen Zeiten zeigte SRF am Abend lediglich Teilaufzeichnungen der Feste. Heute wird grossflächig darüber berichtet.»
Dass Spitzenschwinger heutzutage dank Sponsorenverträgen, Werbeauftritten und Siegprämien eine Menge Geld verdienen können, findet er in Ordnung. «Anlässlich des Eidgenössischen in Mollis unterhalten sie ja bis zu 56 500 Tagesgäste in der Arena und ein Millionenpublikum vor dem Fernseher. Umso stossender finde ich es, dass nicht auch Funktionäre und ehrenamtlich tätige Kräfte entschädigt werden, wenn die Kasse klingelt.»