Den schweren Weg gewählt

Schweigen: Das war früher ihr Rezept gegen den Rassismus, den sie erfuhr. Das ist vorbei! Nach einem Film darüber hat die SRF-Moderatorin nun auch ein Buch geschrieben. Eine Erleichterung, obwohl ihr auch viel Hass entgegenschlägt.

Wow, ist das lange her», sagt Angélique Beldner (45) und blickt über den Hof der Primarschule Hessgut in Liebefeld bei Bern. Ein guter Ort, um mit ihr eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen – so wie sie es zuletzt öfter getan hat. Im Jahr 2020 in einem SRF-«Reporter» über die Rassismuserfahrungen der «1 gegen 100»- und «Tagesschau»-Moderatorin, deren Vater aus Benin (Westafrika) stammt. Anschliessend beim Schreiben des gleichnamigen Buchs: «Der Sommer, in dem ich Schwarz wurde» (Atlantis Verlag), das sie gemeinsam mit Autor Martin R. Dean verfasste, erscheint am 9. September.

GlücksPost: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie an Ihre Schulzeit denken?

Angélique Beldner: Es sind vor­wiegend positive Gefühle, ich bin gerne zur Schule gegangen, war gerne unter Menschen. Zumal es in unserem Wohnquartier nicht viele Kinder gab und meine Geschwister sechs und sieben Jahre jünger sind.

Waren Sie eine gute Schülerin?

Schon, aber nicht die Fleissigste. Ich habe eher das Minimum gemacht. Und vor allem gschnädderet und gschnädderet. Ich musste mehr als einmal vor die Tür!

Haben Sie in der Schulzeit hier rassistische Erfahrungen gemacht?

Natürlich wurden mir auch mal rassistische Äusserungen nach­gerufen, aber ich wurde nicht gemobbt aufgrund meiner Haut­farbe. Ich glaube, es waren eher kleine Dinge, die mich geprägt haben. Das Wissen, dass es Eltern gibt, die dich lieber nicht als Freundin für ihre Kinder sehen wollen, dass man etwas anders angeschaut wird, etwas anders behandelt wird. Es war klar, dass ich mit diesem Aussehen niemals die Coolste sein würde. Den Respekt versuchte ich mir anders zu verschaffen, etwa durch den Sport: Ich war sehr schnell.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich oft als Fremdling fühlten.

Ja, sehr lange. Im Teenageralter fing es dann langsam an, dass ich als «exotisch» galt. Das empfand ich zwar auch als seltsam, aber es war mir lieber, als «der Pudel» zu sein oder der «Schwarze Peter».

Kinderprobleme? Nein, im Buch beschreiben Angélique Beldner wie auch Co-Autor Martin R. Dean viele Situationen, die sie teilweise bis heute im Alltag erleben. Vom Nachbarsitz im überfüllten Bus, der als Einziger freibleibt. Der dezente Hinweis im Zug, dass man übrigens in der ersten Klasse sitze, die zweite ein Wagen weiter sei. Angélique Beldner wurde Anfang der 2000er-Jahre bei SRF als Moderatorin abgelehnt, weil die Schweiz «noch nicht bereit für eine dunkelhäutige Moderatorin sei». Bis zur Black-Lives-Matter-Bewegung 2020, die sie aufrüttelte, verlor sie über nichts davon ein Wort.

Sie schreiben, Sie hätten sich eine «Welt ohne Rassismus» erträumt. Wie haben Sie das denn geschafft?

Blicke ich auf meine Vergangenheit zurück, staune ich selbst da­rüber, wie gut der Mensch Sachen verdrängen kann. Einerseits war es wohl ein Schutzmechanismus, anderseits kam es durch das ganze Umfeld. Wenn von der Familie über Freunde alle sagen «das war nicht so gemeint», «du bildest dir das ein», dann bleibt dir kaum etwas anderes übrig, als es zur Seite zu schieben – oder du lehnst dich auf: allein gegen die Welt. So bin ich von Natur aus nicht.

Wie schmerzhaft war es, das alles  für den «Reporter» vergangenes Jahr und das Buch aufzuarbeiten?

Jetzt fühle ich mich gewissermassen erlöst, aber der Prozess bis hierhin war schon schmerzhaft. Schmerzhaft die Erkenntnis, was man sich selbst so alles vormachen kann. Schmerzhaft, sich mit dem Thema zu befassen und zu merken, dass wir leider weniger weit sind, als ich gedacht hätte. Das führte schliesslich zu meiner Überzeugung: Ich muss aufhören zu schweigen.

Einfacher haben Sie sich das Leben damit nicht gemacht.

Nein, es ist der schwerere Weg, den ich gewählt habe und jetzt gehe. Ich mache mich angreifbar. Vorher war ich die Angepasste,  über die man sagt: «Die haben wir gut integriert, sie ist eine von uns.» Das ist schnell vorbei, wenn du nicht mehr «brav» bist. Damit muss ich umgehen können.

Fühlen Sie sich trotz dieser neuen Angriffsfläche heute besser?

Viel besser, weil ich zuversichtlich bin, dass es uns längerfristig alle weiterbringt, wenn wir über Rassismus sprechen. Auch für die Nachwelt: Ich habe zwei Söhne, 10 und 13 Jahre alt. Ich möchte nicht, dass sie die gleichen Erfahrungen machen müssen wie ich. Ich will ihnen auch signalisieren, dass man nicht alles hinnehmen muss. Wobei sie zum Glück kaum etwas in diese Richtung erleben. Sie sind viel heller als ich.

Im Buch schreiben Sie, dass Sie froh darüber seien.

Ja, und es ist schrecklich, wenn das eine Mutter sagt. Aber ich weiss, sie werden es so leichter haben. Das sehen sie sogar selbst so, aufgrund eigener Erfahrungen. Dunkler zu sein, sei zwar schön, aber sie sind froh, nicht ertragen zu müssen, was sie teilweise bei anderen mitbekommen. Wichtig finde ich, dass sie bereits auf das Thema sensi­bilisiert sind. Teilweise sicher, weil ich bin, wie ich bin. Teilweise aber auch, weil ihre Generation da etwas weiter ist, als wir es waren.

Dass insgesamt noch viel Luft nach oben ist, zeigt sich im Buch eindrücklich. Zum Beispiel bei den Zuschriften zum «Reporter»: Sie veröffentlicht positive wie auch negative Rückmeldungen – und die haben es in sich. Da fallen Sätze wie: «Hat SRF noch keine Putzstelle für Sie gefunden?», «Es ist eine Katastrophe, dass wir dafür zahlen müssen, Sie anzusehen!» Und viel Hässliches mehr.

Wie sehr treffen Sie solcheKommentare noch?

Einige mehr, andere weniger. Grundsätzlich sind es aber nicht diese ganz schlimmen, die mich am meisten treffen. Da bin ich eher schockiert, dass es solche Menschen gibt, finde aber gleichzeitig, dass es mehr ihr als mein Problem ist. Schmerzlicher sind für mich die Besserwisserischen, die mir erklären wollen, wie die Welt funktioniert und warum ich falsch liege.

Was wollen Sie mit Ihrem Buch bewirken?

Natürlich kann das Buch allein nicht ganz so viel bewirken. Aber Martin und ich haben es in Gesprächsform geschrieben und verstehen es auch als Gesprächsangebot. Wir haben angefangen, darüber zu reden, und hoffen, dass andere mitmachen. Es wäre toll, einen kleinen Teil dazu beitragen zu können, dass die Leute sich Gedanken zum Thema Rassismus machen, auch sich selbst hinterfragen. Langfristig erhoffe ich mir, dass solche Bücher überflüssig werden. Dass meine Kinder, wenn sie erwachsen sind, das Buch in die Hand nehmen und denken: Was wollte unsere Mutter denn damals? Das ist doch völlig überholt!

Sie danken im Buch Ihrer Familie. Wie hat diese Ihren Wandel aufgenommen?

Ich bin sehr froh, dass sie mich auf meinem Weg unterstützen. Das heisst nicht, dass mich alle komplett verstehen. Aber das Schöne ist: Die Liebe überwiegt, auch wenn man sich nicht immer einig ist.

Wie war es bei Ihrem Mann, ohne den es, wie Sie schreiben, dieses Buch nicht geben würde.

Er hat mich voll unterstützt, obwohl es für ihn auch nicht immer leicht war. Plötzlich erzählt seine Frau von Erfahrungen, die sie nie erwähnt hatte und heute als schlimm empfindet. Es gab Missverständnisse auf beiden Seiten, viele Diskussionen. Es war ein grosser Prozess, aber ich glaube, als Paar hat es uns am Ende gestärkt. Weil wir nie aufgegeben haben.

Wie geht Ihr Weg nun weiter?

Es stehen Lesungen an. Schauen wir mal, was dann passiert. Ich habe zuletzt viel von mir preisgegeben und habe eigentlich auch das Bedürfnis, mich wieder etwas zurückzuziehen. Ich möchte auch nicht nur darüber definiert werden. Die Mission, die ich habe, ist auf dem Weg. Es war oft zehrend, aber ich fühle mich sehr erfüllt.