«De Papi, er ist immer noch da»

Er war der grösste Kampfsportler, den die Schweiz je hatte: Andy Hug. Vor 19 Jahren starb er an akuter Leukämie. Sein Sohn Seya lebt den Weg des «blauäugigen Samurai» weiter – in Los Angeles. Und er hat denselben Traum wie sein verstorbener Vater: Seya will Schauspieler werden.

Er ist nicht tot. «De Papi», er ist immer noch da. Seya (24) nimmt sein Handy aus der Jeans. Als Bildschirmschoner erstrahlt ein Bild des «Tetsujin», zu Deutsch «Iron Man». Ein Foto von Andy Hug zu seinen besten Zeiten. Muskelbepackter Oberkörper, der Schnurrbart als Markenzeichen in einem selbstsicheren Gesicht, das ausdrückt: «Mich kann niemand stoppen.» Sein Sohn Seya blickt auf den Bildschirm. «Papi war der Wahnsinn.» Er steckt das Smartphone zurück in die Hosentasche. Seya schaut zu seiner Mutter Ilona. Ihr Blick verrät, wie stolz sie auf ihren Sohn ist.

Die beiden sitzen auf der Terrasse des Restaurants Salt in Marina del Rey, gleich neben der Venice Beach in Los Angeles. In der schwarzen Sonnenbrille der Mutter spiegeln sich die Segelmasten des nahe liegenden Hafens. Hier hält sich die «High Society» auf, Schauspieler, Geschäftsleute, Reiche und Schöne. «Aus unserem Umfeld bekam ich einiges an Bedenken zu hören», sagt sie. Die Gegenstimmen kamen, als Freunde und Familie vom Entscheid hörten, wie Sohn Seya seinen Lebensunterhalt verdienen will. «Schauspieler zu sein, ist kein normaler Job. Man weiss nicht, ob man es schafft und irgendwann davon leben kann», meint die Mutter.

Schon als Kind kommt Seya Hug immer wieder nach Los Angeles. An einer internationalen Schule geniesst er früh eine gute Ausbildung. Daher auch sein akzentfreies Englisch. Der Lebensmittelpunkt war lange die Schweiz, die Familie lebte in Horw LU, bis er 2013 definitiv nach Los Angeles zog. Mit damals 18 Jahren studierte er Wirtschaft und Film an der Loyola Marymount University.

Er vermisst den Luzerner Rahmkäse, Bündnerfleisch und seine Liebsten in der Schweiz – doch er verliebt sich endgültig in die Stadt der Engel. Wirtschaft studieren und später ein «Bänkler» sein? Das will er jedoch nicht. Nach zwei Jahren verlässt er die Universität. Seya will Schauspieler werden. Er absolviert die zweijährige Ausbildung an der «Lee Strasberg»-Schauspielschule in Hollywood und nimmt Privatunterricht. Die Mutter unterstützt ihn. Finanziell, aber vor allem mental.

In dieser Zeit lernt er Taylor kennen, die «Liebe seines Lebens», wie Seya sagt. Mutter Ilona spielt den «Matchmaker», die Kupplerin. «Ich kannte Taylors Bruder, und wir beide fanden, dass sie sich kennenlernen sollten», so Ilona. Ein Date wird vereinbart. Taylor, die Innenarchitektin aus Texas, die Schränke und Zimmer für grosse Stars kreiert, und Seya, der angehende Schauspieler und Sohn der Kampfsportlegende aus Wohlen, sie verliebten sich über alle vier Ohren. Und sie heirateten ein Jahr später, 2016, am Samstag, 13. August, dem Hochzeitsdatum von Andy und Ilona Hug. Seya ist damals 21 Jahre jung. «Ich wusste, Taylor ist die Eine und Einzige. Wenn man die richtige Frau gefunden hat, spielt das Alter keine Rolle.» Dasselbe hat wohl auch Andy Hug einst gesagt, als er sich in den 90er-Jahren während eines Fotoshootings unsterblich in eine hübsche Blondine verliebte. Ihr Name: Ilona. Sie heirateten. An einem 13. August. Sie bekamen ein Kind am 19. November 1994. Seya ist sein Name. Augen, Nase, Stirn, die Herzlichkeit, das Lachen, diese Dinge hat er von der Mutter. Von seinem berühmten Vater hat Seya Bescheidenheit, Power, Ehrgeiz – und den Körperbau. «Hände, Füsse, Beine, Oberkörper, vieles hat er von seinem Vater geerbt», meint Mama Ilona. Seit dem Jahr 2000 ist sie Witwe, ihr Mann starb an akuter Leukämie. «De Andy», er ist immer noch da. Seya spürt ihn. Manchmal «piekst» er ihn, um ihn auf die richtige Spur zu bringen, wie er sagt.

Die richtige Spur. Seya scheint diese gefunden zu haben, um seinen Traum vom Schauspieler zu erfüllen. Er ergatterte Kurzauftritte in den Filmen «Lucky Girl» (2015) und «Walk of Fame» (2017). Im letzten Jahr folgte die erste Hauptrolle. «Shiner» heisst der Film. Er spielt Matt, den Kampfsportler, der von einer Weltkarriere träumt. Wie passend, denn Vater Andy Hug schaffte diese Film-Story im wahren Leben. 31 Tage lang steht Seya Hug für «Shiner» vor der Kamera. Nach dem ersten Drehtag ist er total euphorisch: «Mama. Ich will nie mehr etwas anderes machen.» Für Ilona Hug ist dies ein ergreifender Moment. «Ich wusste, ich habe alles richtig gemacht. Die Leute, die zweifelten, hatten unrecht. Denn das Wichtigste im Leben ist, seinen Traum zu leben.» Das habe Andy stets gesagt. Und weil er dies so perfekt umsetzte, ist das Leben des «blauäugigen Samurai» filmreif. Da gibt es dieses grosse Projekt von Ilona und Seya, einen Film über das Leben von Andy Hug zu drehen. «Es tut sich was», sagt Seya geheimnisvoll.

So geht Seya nun fleissig und geduldig seinen Weg. Sein Alltag: Er steht um 6 Uhr morgens auf, erledigt Dinge, die anstehen, nimmt Schauspielunterricht, meldet sich für Castings an. Vor dem Mittagessen geht er ins Ju-Jitsu- oder Muay-Thai-Training. Seya ist ein grosser Kampfsportfan. Ehrensache als Sohn einer Legende. Er hat den Schwarzgurt im Taekwondo. Die Nachmittage gestaltet er je nach Bedarf. Sport, Lesen, Vorsprechtermine. Abends geht es oft in die Bar. In seine Bar. Sie befindet sich in West Hollywood. Im August 2018 hat Seya sie zusammen mit einem Kumpel eröffnet. «Es läuft super, wir bauen eine Stammkundschaft auf und wollen bald auch Essen anbieten.» Hinter dem Tresen fühlt er sich sowieso wohl. Es ist der beste Platz, um sich ein Netzwerk zu schaffen. Und Drinks mixen mag er ebenfalls. Auch in der Traumwelt Hollywood muss man sich langsam hocharbeiten. Was folgt als Nächstes? «Eine Rolle in einer Serie, eine Neben- oder sogar wieder eine Hauptrolle in einem Film, das wäre genial», sagt Seya. «Ich möchte der beste Schauspieler sein, zu dem ich in der Lage bin.» Auch wenn er noch nichts verraten darf, aber es sind sich einige Dinge «am entwickeln». Doch wer glaubt, er sei so töricht und habe die Vorstellung, sein Traum klappe ohne Aufwand, der irrt. Seya Hug, ein sensibler Mann, hat auch Bedenken. «Wenn ich zweifle, ist Papi da, er wacht über mich, er zeigt mir den Weg.» Damals, im August des Jahres 2000, da «ging alles sehr schnell». Für den 6-jährigen Seya bricht eine Welt zusammen. «De Papi», er war tot. Weg. Nicht mehr da. «Ich vermisse ihn. Jeden Tag.» Ohne Vater aufzuwachsen, sei hart gewesen, «doch Mama übernimmt beide Rollen».

Zum Schluss des Gesprächs erzählt Ilona dem Besuch aus der Heimat von einem verblüffenden Gänsehaut-Moment: Andy Hug hegte Jahre vor seinem plötzlichen Tod einige Pläne, um Schauspieler zu werden. Er nahm bereits Schauspielunterricht und hatte mehrere Film-Angebote. «Wir planten, nach Los Angeles zu gehen», sagt Ilona. Dort hätte Andy nach der Kampfsportkarriere seinen Traum verwirklichen wollen. Doch dazu kam es nicht. Im Jahr 2000 starb Andy Hug. Vier Jahre später schreibt Seya – er war zehn Jahre alt – in sein Tagebuch, dass er Schauspieler werden möchte. Als Mutter Ilona dies mitbekommt, kann sie es kaum fassen. «Ich habe ihm nie von den Plänen seines Vaters erzählt», sagt sie – und bekommt Gänsehaut. «Am Ende geht irgendwie alles wieder auf. Wir sind nicht alleine», meint Ilona. Dort, wo der Weg von Andy Hug enden musste, dort macht sein Sohn Seya weiter. «De Papi», er ist immer noch da.