Das verheimlichte Trauma seiner Kindheit

Auf der Bühne mimt er den Clown. Doch es gibt auch eine dunk­lere Seite in seinem Leben: Der Komiker wuchs in einer radikal-christlichen Familie auf, erfuhr durch seinen Vater Gewalt – und zerbrach beinahe an sich selbst.

Es ist ein warmer Spätsommertag, die Sonne schickt noch einmal ihre ganze Kraft auf die Gäste vor dem Café ­Lochergut in Zürich. Einer von ihnen ist Jonny Fischer (41). Leicht angespannt blättert der Divertimento-Star in seiner eben erschienenen Biographie «Ich bin Jonathan – Die Geschichte einer Versöhnung».

GlücksPost: Ihre Lebensbeichte ist veröffentlicht! Wie geht es Ihnen damit?

Jonny Fischer: Ich muss ehrlich sagen, dass ich noch immer richtig nervös bin. Weil es ein Buch ist, das nicht nur an der Oberfläche kratzt. Sondern eines, in dem ich hinschaue und frage: Was funktioniert nicht in meinem Leben? Warum nicht? Warum mache ich die gleichen Sachen immer wieder falsch?

Warum haben Sie sich entschieden, eine Biographie zu verfassen?

Ich will nicht, dass die Menschen mich falsch kennen. In den letzten 20 Jahren dachte ich oft: Es ist toll, wenn ihr alle denkt, ich sei «en Siebesiech». Aber so ist es nicht! Ja, ich stehe auf der Bühne, gewinne Preise, bin fröhlich und aufgestellt. Aber es gibt auch andere Seiten in meinem Leben, die ich nicht mehr verstecken will.

Sie sind in einer strenggläubigen christlichen Familie aufgewachsen. Ihr Vater gründete eine radikale Glaubensgemeinschaft. Wie war das für Sie?

Schwierig. Er sagte mir stets, dass Gott immer zuschaue. Und dass er mir böse sei wegen vielem, was ich tat. Ich war überzeugt, dass er meine Gedanken überall liest, bekam ein Trauma.

Im Buch erzählt Autorin Angela Lembo, dass Erich Fischer († 2016) an einer bipolaren Störung litt. In einer manischen Phase war er für seine Kinder da. An anderen Tagen war er unberechenbar, bestrafte besonders Jonny mit Verachtung und körperlicher Gewalt. Jonny: «Am meisten schmerzten seine Schläge im Dezember und Januar. Da hatte mein Vater die Fitze vom Samichlaus. Manchmal versohlte er mir den nackten Hintern, und ich konnte danach nicht mehr richtig sitzen.»

Die Beziehung zu Ihrem Vater war schwierig. Trotzdem respektierten Sie ihn immer. Hätten Sie das Buch zu seinen Lebzeiten auch veröffentlicht?

Nein. Das hätte ich ihm nicht antun können. Ich weiss, die Leute hätten sich danach bei ihm gemeldet. Ich will generell nicht, dass alle sagen, ich hätte einen schlechten Vater oder eine schlechte ­Mutter gehabt. So ist es nicht. Sie haben all die Dinge damals mit bestem Wissen und Gewissen gemacht, dabei ist aber leider vieles schiefgelaufen.

Ihr Vater starb im Juni 2016. Sie haben sich dagegen entschieden, sich von ihm zu verabschieden. Haben Sie heute ein schlechtes Gewissen?

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich kein schlechtes Gewissen hatte! Eigentlich müsste einem der Tod des Vaters doch weh tun. Obwohl mir viele Leute sagten, dass ich es eines Tages noch ­bereuen werde, bin ich froh, dass ich es nicht tat. Denn es war eines der ersten Male in meinem Leben, wo ich mir bewusst sagte, dass ich mir selber in dem Moment wichtiger bin.

Zu einer Versöhnung zwischen ­Ihnen ist es nie gekommen – auch wenn Sie sich das immer wünschten. Wie stehen Sie heute zu Ihrer Mutter? Immerhin schaute sie stets tatenlos zu.

Ich habe ihr verziehen, schon lange. Sie hat Krebs, ist schwer krank. Wir wissen nicht, wann es so weit ist, dass sie gehen muss. Sie ist nicht meine beste Freundin, wir haben kein Mutter-Sohn-Verhältnis im herkömmlichen Sinn. Mir bedeutet es viel, dass sie am Muttertag vorbeikommt und mit meinem Mann und mir am Tisch sitzt.

Hat sie Ihre Homosexualität akzeptiert? Sie und Ihr Vater taten das früher nicht, erschienen nicht an Ihrer Hochzeit mit Michi Angehrn 2016.

Absolut. Wenn wir telefonieren, richtet sie Grüsse an Michi aus. Sie merkt, dass er mir guttut, tiefer gehen wir dabei aber nicht. Sie ist 81, da muss man auch nichts mehr verändern wollen. Dass sie merkt, dass es ihrem Sohn gut geht, macht mich glücklich genug.

Jahrelang kämpfte Jonny Fischer um Anerkennung – bei den Eltern, in der Liebe, im Beruf oder bei Freunden. Er sagt: «Mir ist in der Kindheit eingetrichtert worden, dass ich grundsätzlich schlecht bin. Dass ich viel tun muss, damit es mir gut geht. Verzichten. Entbehren. Leiden. Nur so kann ich frei von Sünde sein.»

Um anderen zu gefallen, haben Sie sich verausgabt, nahmen zehn Kilo zu, dann wieder ab, flüchteten sich in Alkohol-Exzesse, landeten mehrmals im Spital. Bis Sie sich 2012 in eine Burn-out-Klinik in Deutschland einweisen liessen. Was war der Auslöser dafür?

Es gibt nicht «den» Auslöser. Damals hatte ich das Leben nicht mehr im Griff, habe versucht, es mit Alkohol, noch mehr Erfolg, schönen Autos und grossen Häusern zu flicken. Aber ich wurde immer einsamer. Irgendwann gab es keinen Grund mehr, so zu leben. Da merkte ich, dass ich Hilfe brauche.

Immer wieder packten Sie Wutausbrüche – auch gegenüber Ihrem Bühnenpartner Manu Burkart. «Ich hasse dich!», warfen Sie ihm an den Kopf. Bis sich Divertimento 2017 fast trennte. Haben Sie nie geredet?

Interessanterweise hat das nie funktioniert, bis er das Manuskript meines Buches gelesen hat. Ich bekam alle 20 Minuten eine Sprachnachricht von ihm, zum Teil auch beinahe weinende. Er meinte: «Warum hast du das nie gesagt?» Das habe ich – doch im Streit kam es nie richtig an. Jetzt haben wir eine andere Tiefe, sind seit eineinhalb Jahren mega beschwingt miteinander unterwegs. Das ist schön.

Nicht nur im Privatleben, auch mit Divertimento leistete Jonny oft mehr als nötig, wünschte sich, das Publikum möge seinen Aufwand und sein Können ästimieren. Doch er wurde häufig enttäuscht. «Die Leute sehen Manu und haben Freude an ihm. Er kommt besser an. Dafür kann er nichts, und ich mache ihm keinen Vorwurf. Aber es tut mir weh.»

Wie gehen Sie heute damit um, wenn Manu mal besser ankommt?

In dem Moment, in dem ich Freude an mir habe, ist es mir egal. Wenn ich aber gerade Bestätigung brauche, tut mir das weh. Jetzt wo wir nach der langen Corona-Pause wieder auf der Bühne stehen, werde ich vor lauter Spielfreude nicht damit konfrontiert.

Zeigen sich heute noch solche «Donnerstage» – so nannten Sie Ihre Ausraster-Tage – gegenüber Manu?

Nein, seit 2017 nicht mehr. Und ich finde, alle vier Jahre laut streiten, ist doch okay (lacht). Mit meinem Mann gab es zuletzt einen, zwei davon. Die Corona-Zeit hat uns zugesetzt. Das Homeoffice war eine Herausforderung, hat uns aber auch weitergebracht.

Wie hat er auf Ihr Buch reagiert?

Ich bin ihm sehr dankbar, dass er das so angenommen hat. Denn auch unsere Geschichte mit allen Auf und Ab kommt darin vor. Obwohl ich weiss, dass er nicht alles erzählt haben wollte. Indem er dazu stehen konnte, bewies er unglaubliche Grösse.

Sie wirken glücklich, haben sich mit Ihrer Vergangenheit versöhnt. Wie verhindern Sie, dass Sie wieder in alte Muster verfallen?

Ich frage mich stets: Was ist die Motivation? Früher lag diese in 80 Prozent der Fälle darin, dass ich wollte, dass die Leute mich toll finden. Heute habe ich ebenfalls viele Projekte, das sind aber alles Dinge, die ich gerne mache. Zum Beispiel die Sendungen fürs SRF. Das hat Riesenspass gemacht. Klar hoffe ich, dass die Leute diese mögen. Aber das Grösste ist bereits passiert: Ich selbst hatte Freude daran.

Sie sprechen von der Show «Stadt, Land, Talent», in der Sie aktuell zu sehen sind.

Genau. Mit Luca Hänni und Stefanie Heinzmann suche ich schweizweit nach Talenten. Ich bin für die Sparte Variety zuständig, also Artisten, Comedians oder Kleinkünstler. Das Rausgehen zu den Leuten, in Stuben oder Turnhallen zu sitzen, die Menschen dahinter zu erleben, war ein Privileg.

Ob im TV oder auf der Bühne:Haben Sie Angst, dass man Sie nach Ihrer Buchveröffentlichung anders wahrnehmen könnte?

Ich habe mit Manu darüber gesprochen, ob es möglich ist, dass die Leute uns nach Bekanntwerden meiner Geschichte weniger lustig finden könnten, weil sie in mir plötzlich ein anderes Gesicht sehen. Aber für mich ist es wie ein zweites Outing – jetzt wisst ihr ­alles und schaut mich an: Ich bin ein glücksverwöhnter Mensch und kann es sogar geniessen. Schöner geht es nicht!