«Das innere Feuer brennt nach wie vor»

Er gehört zu den bekanntesten Gesichtern der Para-Sport-Szene – und das nicht nur in der Schweiz, ­sondern weltweit. Kein ­Wunder, denn der ­Thurgauer hat in seinem Sport praktisch alles gewonnen, was es zu ge­winnen gibt.

Von Irene Lustenberger (Text)

Sein Palmarès ist eindrücklich: vier Gold-Medaillen an den Paralympics 2020 in Tokio – wegen der Pandemie fanden diese erst im Jahr 2021 statt –, acht weitere Paralympics-Medaillen, 23 WM- und 15 EM-Medaillen sowie 26 World-Major-MarathonSiege (ähnlich den Grand-Slam-Turnieren im -Tennis), teilweise mit Streckenrekord. Zudem ist er Weltrekordhalter über 1500 Meter, 5000 Meter, 10 000 Meter, im Halbmarathon sowie im Marathon und wurde zweimal «Laureus Para-Sportler des Jahres» sowie achtmal «Schweizer Para-Sportler». 

Marcel Hug kam mit Spina bifida (offener Rücken) zur Welt und wuchs mit drei älteren Brüdern auf einem Bauernhof in Pfyn TG auf. Als Achtjähriger erhielt er seinen ersten Rollstuhl und trat einem polysportiven Rollstuhl-Club bei. «1996 brachte die Leiterin einen älteren Rennrollstuhl mit. Ich liess mich nicht zweimal bitten und probierte diesen aus», erinnert sich Hug, der bereits damals von Leichtathletik fasziniert war. Im selben Jahr – als Zehn-jähriger – nahm er an seinem ersten Rennen teil. Dort siegte er nicht nur, sondern lernte auch Paul Odermatt (70) kennen, der bis heute sein Trainer ist.

Nebst dem Sport war dem jungen Mann auch wichtig, eine Ausbildung zu machen. Nach dem Abschluss der Sportschule in Kreuzlingen zog er 2004 nach Nottwil LU und absolvierte das Sport-KV in Luzern. 2004 – er hatte gerade seine Ausbildung begonnen – nahm er an seinen ersten Paralympics teil und gewann in Athen auf Anhieb zwei Bronze-Medaillen. Den Tiefpunkt seiner Karriere erlebte er vier Jahre später in Peking. «Ich stürzte in zwei Rennen und musste ohne Medaille nach Hause. Das war eine grosse Enttäuschung», resümiert er.

Nach ersten Berufserfahrungen ist Marcel Hug seit 2010 Profi – ein mutiger Schritt für einen Para-Sportler. «Es war mein grosser Traum, vom Sport leben zu können. Deshalb habe ich diesen Schritt gewagt.» Bis heute habe er dies nicht bereut. Unterstützt wird er von Sponsoren und vom Verband. Als erfolgreicher Sportler erhält er auch Preisgeld, vor allem an den grossen Städte-Marathons. Ausserdem gibt er seine Erfahrungen in Referaten weiter.

Das Sprichwort «Je älter, desto besser» trifft auf den 37-Jährigen definitiv zu, waren doch die beiden letzten Saisons die bisher erfolgreichsten. Wie erklärt er sich das? «Es ist eine Kombination aus vielem. Nur das Material alleine macht es nicht aus.» Sein Rennrollstuhl sei zwar besser als früher, er habe aber auch mental an sich gearbeitet. «Zudem bin ich von grösseren Verletzungen verschont geblieben. Und mit den Erfolgen steigt auch das Selbstvertrauen.» 

An sechs Tagen pro Woche absolviert Hug je zwei Trainingseinheiten – insgesamt rund 25 bis 30 Stunden. «Einen Grossteil davon im Rennrollstuhl, aber auch Krafttraining und Ausdauersport wie Schwimmen, Langlaufen oder Handbike», führt er aus. Meistens an seiner Seite ist Paul Odermatt, dipl. Trainer Spitzensport Swiss Olympic. «Unsere Zusammenarbeit basiert auf gegenseitigem Vertrauen und Loyalität. Er lebt mit Herzblut für den Sport und ist rund um die Uhr für uns da», sagt Hug, der auch an den Wettkämpfen stets auf Odermatt zählen kann.

Nach zwölf Jahren als Profi ist der Thurgauer auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen. «Ich habe mir vor einem Jahr ernsthaft Gedanken gemacht, aufzuhören», gibt er zu. «Aber das innere Feuer brennt nach wie vor, und ich liebe den Sport und die Wettkämpfe.» Zudem habe er nicht nur sportliche Ziele, sondern möchte auch den Para-Sport bekannter machen. So hat er das «Swiss Silver Bullet»-Trainingslager – Hugs Spitzname – ins Leben gerufen. Jeweils in den Sommerferien trainieren in Nottwil rund 30 junge Talente aus der ganzen Welt eine Woche lang unter der Leitung von Hug und Odermatt.

Und welche sportlichen Ziele hat der mehrfache Paralympicsieger und Weltrekordhalter denn noch? «Eigentlich habe ich wirklich alles gewonnen», sagt er und lacht. Er könne aber Siege wiederholen und Rekorde verbessern. Die Saison beginnt in Dubai, wo er am 12. 2. seinen ersten Marathon bestreitet. Höhepunkt sind die Weltmeisterschaften in Paris im Juli. Dort finden 2024 auch die Paralympics statt, wo Hug seine Titel verteidigen will. Was danach kommt? «Dazu kann ich noch nichts Konkretes sagen.»