«Angelo sieht mir an, wie es mir geht»

Mit der Abfahrtskönigin schmücken sich auch Sponsoren gern: Für einen Schuhhersteller entwirft die Schwyzerin eine Kollektion – und ist froh, hat sie bei wichtigen Terminen Freund und Manager Angelo an ihrer Seite.

Der Tag beginnt um 8.30 Uhr. Corinne Suter ist nach Reiden LU zum Hauptsitz von Helvesko gekommen. Der Luzerner Bequemschuh-Hersteller hat die Olympia-Siegerin als Aushängeschild gewinnen können – und Corinne einen neuen Sponsor. Heute sollen nun die Details von Corinnes Helvesko-Herbstkollektion besprochen und Fotos mit den bereits hergestellten Exemplaren gemacht werden. Für die Herrenschuhe steht Corinnes Freund Angelo Alessandri (33) Modell.

Zuerst wird die 27-Jährige geschminkt. Make-up-Artistin Sandy Stiz schwärmt von der schönen Haut der Speed-Königin. «Wenn du anderen Stylisten sagst, dass du Corinne schminken dürfest, meinen alle: ‹Oh, wow! Diese Wimpern!›» Die getuschten Wimpern sind neben ihren bunt lackierten Nägeln das Markenzeichen unserer Ski-Heldin. Sogar während der Rennen trägt sie Mascara. Viel Farbe möchte die Schwyzerin heute nicht auf ihrem Gesicht. Grundierung und Puder braucht es jedoch für das Foto-Shooting. Corinne meint: «Ich mag es, auch einmal ohne meine Sportkleider zu sein. Das gibt es ja nicht so oft. Mir ein Abendkleid anzuziehen, mich schön zu schminken: Das geniesse ich sehr.»

Ein Teil von Corinnes Familie ist mitgekommen zu Helvesko. Das ist nicht ungewöhnlich: «Meine Eltern begleiten mich oft, sie nimmt es auch wunder, wer mein Sponsor ist», erzählt sie und streicht sich immer wieder die langen blonden Haare aus dem Gesicht. Meist werde einem zudem der Betrieb und die Fertigungsanlagen gezeigt. Das sei für jeden spannend. Helvesko hat alle eingeladen, sich im Laden im Untergeschoss etwas Schönes auszusuchen. Vater Bruno zögert anfangs: «Ich trage sowieso nur ‹Zoggeli›.» Am Ende findet er dann aber doch noch einen Schuh, der ihm gefällt.

In der Zwischenzeit besprechen Corinne und Angelo, der vorübergehend das Management seiner Freundin übernommen hat, mit der Geschäftsleitung von Helvesko und dem Schuh-Designer die Herbstkollektion, die von Corinne mitentworfen wird. Nur ein Modell kann allerdings auch «Corinne» heissen: der Ankle Boot aus weissem oder schwarzem Lackleder – ihr Lieblingsstück. Das männliche Pendant, ebenfalls aus Lackleder, heisst «Angelo». Es wird diskutiert, ob man den Namen dieser beiden Modelle ins Leder einprägen soll, und wenn ja, wo. Später wird das Paar mit diesen Schuhen posieren. In Winterkleidung, während es draussen frühsommerlich warm ist.

Zuerst sollen aber noch Fotos im Laden geschossen werden. Es ist Mittagszeit, und das Geschäft hat sich gefüllt. Corinne wirkt angespannt, als sie zwischen all den Menschen posieren muss. «Ein solcher Tag ist lang, und es gilt, viele Eindrücke zu verarbeiten. Trotzdem muss ich meine Arbeit machen. Wenn dann noch so viele Leute herumstehen, ist das für mich unangenehm. Ich muss schauen, dass ich den Fokus nicht verliere.»

Angelo begleitet seine Liebste an wichtige Termine wie diesen. Corinne ist froh: «Er ist die Person, die mich am besten kennt. Er sieht mir an, wie es mir geht. Er weiss, was ich will, ohne dass ich etwas sagen muss. Wenn Sponsoren zum Beispiel ein Rennen schauen kommen wollen, organisiert er ihnen Tickets. Es ist grossartig, dass er solche Sachen für mich übernimmt.» Sie würden Privates und Geschäft allerdings strikt trennen: «In unserer Wohnung wird nicht übers Business gesprochen. Angelo kann das gut. Er sagt: ‹Weekend ist Weekend.›»

Corinne und ihre Familie schweben noch immer auf Wolke sieben nach ihrer Abfahrt-Goldmedaille in Peking diesen Winter. Bruno schaut sich das Video immer wieder an. «Dafür musst du schon Biss haben», meint er anerkennend. «Und alles muss stimmen.» Corinne ergänzt: «De facto hast du als Sportler zwei- bis dreimal im Leben die Chance, an einer Olympiade eine Medaille zu bekommen. Das getraut man sich kaum auszusprechen.» Man müsse an diesem Tag einfach bereit sein.

Der selbstauferlegte Druck, der die Athletin in den vergangenen Jahren immer mal wieder daran hinderte, ihr Bestes zu geben, ist inzwischen weg. «Das war ein Prozess, ich musste mir das hart erarbeiten. Momentan habe ich extrem Freude, bin fit, habe Selbstvertrauen. Überall ging es einen kleinen Schritt vorwärts. Jetzt passt alles.» Die seit Peking oft an sie gerichtete Frage, was bei all ihren Erfolgen überhaupt noch ein Ziel sein könne, mag sie überhaupt nicht nachvollziehen: «Solange ich das Feuer in mir drin habe, will ich weitermachen!»

Gerade hat die Schneekönigin mit ihrem Freund drei Wochen Strandferien auf den Philippinen genossen. Vor dem Abflug liess sie sich zwei Tätowierungen stechen: einmal die fünf Olympiaringe am linken Unterarm und seitlich am Oberkörper das Datum des Olympiasiegs in römischen Zahlen – der 15. Februar 2022. Sie habe sich schon immer gesagt: «Werde ich eines Tages Olympiasiegerin, will ich diese Tattoos.»

Neben den offiziellen Siegestrophäen erhält die erklärte Tierfreundin immer mal wieder lebende Geschenke. Für ihre WM-Medaillen 2019 in Åre war es ein Eringer Kälbchen. Derselbe Züchter schenkte Suter zum WM-Gold in Cortina 2021 ein weiteres Kälbchen. «Sie sind so herzig», schwärmt Corinne. «Das ist schöner als jeder Pokal oder jede Medaille.» Nun freut sie sich, endlich wieder ihr geliebtes Pferd Nikito zu sehen. Genau genommen gehört es nicht ihr, sondern einer Freundin. Corinne darf Nikito aber reiten, wann immer sie möchte. Die sensible junge Frau blüht auf, wenn es um Tiere geht: «Denen ist es egal, ob ich Olympiasiegerin bin oder ein ganz normaler Mensch.» Zwei Monate pro Jahr hat Corinne jeweils Zeit, ein ganz normaler Mensch zu sein. Im Juni geht bereits das Training für die kommende Saison wieder los. Die Erwartungen werden gross sein – nicht nur die eigenen.