«An der Schweizer Grenze musste ich mich nackt ausziehen»

Sein Erfolg ist seit über zehn Jahren ungebrochen. Doch es gab auch andere Zeiten für ihn – als er Strassenmusiker war. An diese will er sich immer erinnern, um sein Glück jetzt zu schätzen.

Es war ein harter Weg nach oben für Semino Rossi (54). «16 lange und mühsame Jahre», sagt der Sänger, der 1984 mit 22 entschied, seine argentinische Heimat zu verlassen und es als Strassenmusiker in Spanien zu versuchen. Sein Weg führte ihn von dort auch in die Schweiz, wo er auf drei Südamerikaner traf, die ihn mit nach Österreich nahmen. In Innsbruck lernte er 1986 seine Frau Gabi kennen, als sie musizierend unterwegs waren. Nach und nach kamen dann Auftritte für Galas in Hotels, Engagements bei lateinamerikanischen Tanzwettbewerben. Der Wendepunkt kam für Semino aber erst 2001, als er von einer Plattenfirma unter Vertrag genommen wurde und drei Jahre später den Durchbruch schaffte.

GlücksPost: Sie haben viele Jahre auf Ihren Erfolg warten müssen. Haben Sie mal an sich gezweifelt?
Semino Rossi: Nein, nie. Aber es gab tatsächlich kurz vor meinem Durchbruch die Phase, da schlug ich meiner Frau vor, ich könnte auch Taxi fahren, damit mehr Geld reinkommt. Sie sagte, ich solle weitersingen, weiter an mich glauben. Obwohl wir sehr wenig Geld hatten, nur das, was sie als Hebamme verdient hat, meinte sie, ich solle weiter an meinem grossen Traum arbeiten. Das Geld würde reichen. Ich war wirklich schon bereit, Taxi zu fahren.

Dann haben Sie Ihrer Frau Ihre Karriere zu verdanken?
Ja. Ich habe ihr wahnsinnig viel zu verdanken. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft. Sie hat mich immer unterstützt. Das werde ich ihr nie vergessen.

Sie mussten mal von drei Euro am Tag leben, richtig?
Früher, ja. Es war eine harte Zeit.

Dann kannten Sie auch Hunger?
Gehungert habe ich nicht, aber  ich konnte mir nicht viel zu essen leisten. Kartoffeln schon, aber kein Olivenöl, das war zu teuer. Aber so eine Zeit gibt einem viel Kraft, sein Ziel zu erreichen. Manchmal sind solche Phasen sehr wichtig im Leben, weil man nur dadurch Dinge erreicht und auch zu schätzen weiss. Ich kann noch heute ein gutes Essen sehr schätzen, weil ich diese Erinnerung habe. So eine Zeit vergisst du niemals. Für mich ist es nicht selbstverständlich, ein Dach über dem Kopf zu haben, ein warmes Essen. Ich weiss, wie es ohne ist. Vor ein paar Tagen habe ich einige Obdachlose gesehen, die unter einer Treppe schliefen, das ist schrecklich.

Haben Sie damals auch mal auf der Strasse geschlafen?
Ja, aber nicht so oft. Aber ich habe mal eine Weile im Auto schlafen müssen.

Sie sind quasi als Flüchtling nach Europa gekommen.
Ich bin damals kein Flüchtling in dem Sinne gewesen, in Argentinien herrschte ja kein Krieg, aber ich war eine Art Asylant, ja. Ich hatte hier an jeder Grenze riesige Angst, dass sie mich wieder zurück nach Argentinien schicken würden, mir nicht erlauben, in diesem Land zu sein. Ich hatte ja nur einen argentinischen Pass.

Haben Sie an einer Grenze mal ganz besonders gezittert, vielleicht etwas Schlimmes erlebt?
Ja. Das ist allerdings schon mehr als 20 Jahre her. Da wollte ich zusammen mit meinem Kollegen Umberto von Österreich zurück in die Schweiz. Wir waren am Grenzübergang, und es war sehr, sehr spät. Sie dachten wohl dort, dass wir etwas schmuggeln, Drogen oder dergleichen. Sie hatten die Hunde dann zunächst auf unser Auto gejagt, die alles komplett durchsuchten. Dann haben sie uns in verschiedene Räume gebracht, und wir mussten uns nackt ausziehen. Darauf wurden wir eine halbe Stunde lang gründlich untersucht. Das war wirklich keine schöne Situation für uns, ja schrecklich. Aber man hat uns dann weiterfahren lassen.

Sie verdienen heute Millionen. Könnten Sie heute noch von drei Euro am Tag leben?
Von drei Euro am Tag nicht, ich denke, das ist unmöglich. Aber ich kann auch mit ganz wenig Geld zufrieden sein, das weiss ich.

Das heisst, wenn es morgen mit der Karriere vorbei wäre, könnten Sie auch von ganz wenig leben?
Ja, auf alle Fälle, denn das kenne ich schon. Ich wäre bereit, mit wenig auszukommen.

Was würden Sie dann beruflich machen?
Ich würde Koch werden. Ich wäre wohl auch Koch geworden, wenn es mit der Gesangskarriere schliesslich nicht geklappt hätte. Ich koche sehr, sehr gerne und hätte das dann richtig gelernt. Und wenn morgen nichts mehr ginge, würde ich vielleicht ein kleines Restaurant aufmachen.

Gibt es noch einen grossen Traum, den Sie haben?
Nein, ich habe mir alle meine Träume erfüllt, bin total zufrieden. Wenn ich jetzt sagen würde, ich hätte noch diesen oder jenen Traum, wäre ich undankbar.