«Zucker? Wie kann das sein?»
Schlank, sportlich und immer sehr bewusst ernährt. Und dann diese Diagnose! Wie konnte das passieren? Und wie lebt es sich, wenn man plötzlich Diabetikerin und «krank» ist?
«Diese Diagnose warf bei mir unzählige Fragen auf. Ich trinke keinen Alkohol, bewege mich täglich draussen oder im Fitnesscenter, esse kaum Süsses und Fettiges, weil mein Magen das nicht gut verträgt, und ernähre mich sehr gesund. Und dann Zucker?» Rita Beer* aus Interlaken kann es auch heute, über ein halbes Jahr nach der Diagnose, kaum glauben. Die 70-Jährige meldete sich aufgrund ihres runden Geburtstages zu einem Check-up an. Dass die Ärztin irgendetwas findet, damit musste sie ja rechnen. Aber Diabetes, das war mehr als eine Überraschung. Erkranken daran nicht hauptsächlich übergewichtige Menschen?
Diabetes kann alle treffen
Es gibt zwei unterschiedliche Diabetes-Mellitus-Typen. Bei Typ 1 produziert der Körper zu wenig des Hormons Insulin, welches den Blutzucker reguliert. Der Grund: Bei dieser Autoimmunerkrankung werden die Betazellen der Bauchspeicheldrüse, die für die Produktion von Insulin zuständig sind, vom Immunsystem zerstört. Am häufigsten davon betroffen sind Kinder und junge Erwachsene. Typische Anzeichen: grosser Durst, häufiges Wasserlösen, Gewichtsverlust und Müdigkeit. Für die Behandlung von Typ 1 ist eine lebenslange Verabreichung von Insulin nötig, denn Diabetes ist nicht heilbar. Inzwischen bieten jedoch Insulinpumpen oder Pens gute Möglichkeiten, die Lebensqualität sehr hoch zu halten.
Bei Typ 2 wird zwar Insulin produziert, jedoch mit einer verminderten Wirkung und der Blutzucker kann nicht mehr in Energie umgewandelt werden. Man spricht von einer Insulinresistenz. Die Krankheit entwickelt sich langsam, also lange bevor die Diagnose gestellt wird. Typische, frühe Anzeichen während der «Prädiabetes»-Phase sind ein leicht erhöhter Blutzucker, ein erhöhter Insulinspiegel und dabei keinerlei typische Symptome. Die Ursache kann zwar Übergewicht und Bewegungsmangel, aber auch erblich bedingt sein. Typ 2 ist als «Altersdiabetes» bekannt – immer häufiger erkranken aber auch jüngere Menschen, vor allem stark übergewichtige, an dieser Form.
Diagnose Typ 2 – und nun?
Kann die Diagnose in einer frühen Phase gestellt werden, ist ein gesünderer Lebensstil die Hauptempfehlung, teils kombiniert mit einem Medikament, das die Insulinresistenz vermindert. Wenn die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse jedoch später nicht mehr fähig sind, den Mehrbedarf an Insulin zu decken und der Blutzucker weiter steigt, bricht der Diabetes aus. Anfangs können Medikamente helfen, die Betazellen zur Insulinabgabe zu stimulieren, mit der Zeit wird aber eine Insulinzufuhr von aussen nötig. Bis zu diesem Zeitpunkt vergehen ab Diagnose durchschnittlich 15 Jahre.
So weit ist es bei Rita Beer noch nicht, dennoch kämpfte sie anfangs mit ihren Medikamenten: «Ich fühlte mich bis zur Diagnose topfit, hatte keinerlei Beschwerden. Als ich mit der Einnahme der Medikamente startete, war mir ständig übel», erinnert sie sich. «Es ärgerte mich, dass ich mich nach dem Arztbesuch nun plötzlich krank fühlte und setzte die Medikamente in Eigenregie ab. Ich beschloss, einfach wieder gesund zu sein.»
Keine gute Idee, denn eine frühzeitige Behandlung kann schwere Folgeerkrankungen verhindern und das Nötigwerden von weiteren Medikamenten hinauszögern. «Meine Ärztin brachte mich zur Vernunft, indem sie mir klarmachte, ich hätte gar nicht zum Check-up kommen müssen, wenn ich mich sowieso nicht behandeln lasse. Sie empfahl mir, die Medikamente nicht mehr gleichzeitig, sondern verteilt auf den Tag einzunehmen – und tatsächlich geht es mir seither wieder so gut wie eh und je. Jetzt halte ich mich daran, schliesslich möchte ich möglichst lange auf zusätzliche Medikamente verzichten können.»
* Name geändert