Zeig her deine Zunge!

Beim Zahnarzt stört sie ab und zu. Aber sonst ist die Zunge für uns ­Menschen unverzichtbar. Haben Sie sie schon mal näher angeschaut? Sie sagt nämlich auch etwas über unsere Gesundheit aus.

Anderen Menschen zeigen soll man sie ja nicht – oder höchstens mal einem Arzt. Die Zunge rauszustrecken gilt als sehr unanständig. Dabei können wir so stolz sein auf dieses Organ, das nicht etwa aus einem Muskel besteht, wie man annehmen könnte, sondern aus neun, die so angelegt sind, dass sie all die Aufgaben, die ihr zugedacht sind, auch wirklich erfüllen kann. Sprechen zum Beispiel. Aber auch zum Essen, Trinken, Schmecken und Tasten brauchen wir die Zunge. Gut, dass sie so beweglich ist!

Viele ihrer Funktionen sind für uns überlebenswichtig. So sorgt die Zunge dafür, dass unsere Nahrung im Mund bewegt wird und dadurch zerkleinert und eingespeichelt werden kann. Nur so ist die Nahrung richtig vorbereitet für den weiteren Weg zur Verdauung, und die Zunge kann sie zum Schlucken Richtung Rachen schieben. Bevor sie dies tut, hat sie allerdings bereits festgestellt, dass sich nichts Schädliches im Nahrungsbrei befindet. Dabei helfen ihr die Papillen, spezielle Geschmacksknospen auf der Zungenschleimhaut, dank derer wir die verschiedenen Geschmacksrichtungen feststellen können. Süss oder sauer, bitter, salzig oder würzig? Die Zunge erkennt das. Feste Geschmackszonen hat sie nicht, aber man weiss, dass sie Süsses vor allem mit ihrer Spitze erkennt, Saures und Salziges an den Zungenrändern, Bitteres im hinteren Zungenbereich und Würziges in der Zungenmitte.

Die Farbe spricht Bände

Dass wir dem Arzt oder der Ärztin die Zunge zeigen dürfen, hat natürlich seinen Grund: Aus ihrem Aussehen lässt sich einiges über unseren Gesundheitszustand ablesen. Normalerweise ist unsere Zunge blassrosa, glatt und feucht. Dazu ist sie mit einem dünnen weisslichen Belag überzogen, der aus Keimen, Nahrungsresten und alten Zellen besteht.

Hat die Zunge einen dickeren Belag als normal, brennt sie, tut sie weh oder ist sie geschwollen, so ist dies ein Hinweis, dass auch sonst etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist im Körper. Wer kontrollieren will, ob die Zunge gesund aussieht, tut dies am besten morgens noch vor dem ersten Kaffee und dem Zähneputzen. Gibt Ihnen ihr Aussehen zu denken, so zeigen Sie sie einem Arzt oder einem Zahnarzt. Selber daran herumdoktern ist nicht zu empfehlen – und sich unnötig grosse Sorgen zu machen auch nicht. Denn manchmal hält das ungewöhnliche Aussehen nicht lange an und pendelt sich relativ rasch wieder ein.

Das kann die Zunge aussagen:

Dicker weisser Belag: Er tritt häufig im Rahmen einer Erkältung auf, kann aber auch ein Hinweis auf Magen-Darm-Probleme sein.

Gelblicher Belag: Häufig geht dieser Belag einher mit einem pelzigen Gefühl im Mund. Hier kann eine Pilzinfektion der Auslöser sein. Kräftige Gelbtöne können auf eine Störung von Galle oder Leber hindeuten.

Roter Belag: Eine sogenannte Himbeerzunge. Sie deutet auf eine Infektionskrankheit hin, ist typisch für Scharlach, kann aber auch bei anderen Erkrankungen auftreten. Brennt die Zunge zusätzlich, kann dies auf eine Zungenentzündung hinweisen.

Brauner Belag: Meist liegt ihm eine Störung im Darmbereich zugrunde, aber auch manche Lebens- oder Genussmittel können die Zunge bräunlich färben, beispielsweise Kaffee.

Grauer Belag: Er kann auf Eisenmangel oder Blutarmut hinweisen.

Schwarzer Belag: Kann als Nebenwirkung einer Antibiotika-Behandlung auftreten, aber auch auf eine ernste Erkrankung, die
mit einer Schwächung des Immunsystems einhergeht.

Trockene Zunge: Kann daran liegen, dass Sie zu wenig trinken – aber auch auf eine rheumatologische Krankheit hindeuten.

Brennende Zunge: Kann durch mechanische Belastungen auftreten, aber auch bei hormonellen Veränderungen.

Tückischer Zungenschmuck

Sie schätzen Ihre Zunge nicht nur, Sie möchten sie auch mit einem Piercing schmücken? Das will gut überlegt sein. Denn anders als bei anderen Piercings wird hier ein Muskel durchstochen, und das ist nicht ganz harmlos. «Als störender Fremdkörper reizen Zungenpiercings zu schädlichen Angewohnheiten und Zungenfehlfunktionen», erklärt Prof. Martin Rücker, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsspitals Zürich. «Je nach Wachstumsalter kann es zu Zahn- oder Kieferverlagerungen kommen. Ein Zungenpiercing kann auch lispeln auslösen oder verstärken. Beim Stechen oder kurze Zeit danach kann es durch Einblutung zur Anschwellung der Zunge bis hin zu Atemnot und Ersticken kommen.» Auch die Infektionsgefahr ist nicht zu unterschätzen. «Infektionen der Zunge sind meist sehr schmerzhaft und können durch Sepsis oder Atemwegsverlegung rasch lebensbedrohlich werden», so der Facharzt. «Auch allergische Reaktionen auf das Piercingmaterial kommen vor. Langfristig schafft der Stichkanal eines Zungenpiercings schwer zugängliche Nischen, in denen sich besonders anaerobe Bakterien vermehren können.» Regelmässiges Entfernen und Reinigen des Piercings ist zwar von Vorteil, aber keine Garantie vor Infektionen.

Auch den Zähnen können Zungenpiercings schaden – durch Reiben, Anprallen sowie durch Ausweichen und Schonbewegungen beim Zähneputzen. Immerhin: Das Entfernen des Piercings ist meistens kein grosses Problem. «In der Regel wächst der Stichkanal des Zungenpiercings nach Entfernung des Stiftes rasch zu, und es verbleiben lediglich kleine Einsenkungen an den Oberflächen», weiss Prof. Rücker. Es kommt allerdings vor, dass ein Piercing mit zahnärztlichen Fräsen herausgetrennt werden muss – mit entsprechenden Risiken.