Wenn die Fettzellen entgleisen

Es sieht nach Übergewicht aus, nach falschem Essverhalten und nach zu wenig Disziplin. Aber das Lipödem, das zu übermässig dicken Beinen führt, ist eine Erkrankung: Die Fettverteilung ist gestört.

Meistens beginnt es in der Pubertät. Die Figur wird weiblicher, Hüfte, Gesäss und Oberschenkel ausgeprägter, die Unterschenkel und die Füsse schwellen an – und das hört manchmal nicht mehr auf. «Ich dachte, ich hätte zugenommen, machte Sport und hielt Diät. Aber an den Beinen passierte nichts», erinnert sich Leandra R. aus dem Zürcher Oberland. «Das war extrem frustrierend.» Und sie merkte: Irgendetwas stimmte da nicht.

Lipödem heisst die störende Erscheinung, die auch die Arme betreffen kann. «Warum sie auftritt, weiss man bis heute nicht genau», erklärt Dr. Meinolf Dorka vom «Haut.Venen.Allergie. Zentrum Brunnehof» in Uster ZH. Mit zu viel oder falsch essen hat sie jedenfalls nichts zu tun: «Es handelt sich um eine Vermehrung von Fettzellen, die Ursachen kennen wir nicht. Man vermutet, dass es hormonell bedingt ist, es könnte aber auch genetische Ursachen haben. Und es gibt auch eine Entzündungstheorie. Weil durch die Schwellungen auf die betroffenen Stellen Druck ausgeübt wird, kann das sehr wehtun, und es kommt auch zu Hämatomen, blauen Flecken auf der Haut.»

Betroffen sind praktisch nur Frauen. Massnahmen, die zu einer Gewichtsabnahme führen, helfen nicht – die Beine bleiben unförmig, manchmal auch die Arme. Und die Schmerzen nehmen zu. «Das kann zum Teil auch zu einem hohen Konsum an Schmerzmitteln führen, in einer Grössenordnung, dass die Betroffenen gar nicht mehr alltagstauglich sind und zum Beispiel nicht mehr Auto fahren können oder sogar nicht mehr arbeiten», erklärt Dr. Dorka.

Ein Gefühl wie Muskelkater

Leandra R. versuchte es erst mal mit bewährten Methoden: mit genau angepassten Kompressionsstrümpfen, die ihr der Arzt verschrieb, und mit manueller Lymphdrainage. «Bei der Lymphdrainage werden Stoffe herausgefiltert, die die Entzündung verursachen – das führt oft zu grosser Erleichterung», weiss der Facharzt. «Vielen Patientinnen hilft das auf Jahre, sie brauchen keine weitere Therapie.»

Leider reicht es nicht bei allen. Bei Leandra zeigte sich bald, dass ihr nur noch der letzte Schritt blieb: Liposuktion, auf Deutsch Fettabsaugen. Auf die leichte Schulter nahm sie das nicht: «Es ist ein Eingriff, dessen muss man sich bewusst sein», sagt die 25-Jährige. «Aber ich wollte es unbedingt. Um von den Schmerzen befreit zu sein – und auch das Optische spielt eine Rolle, wenn man jung ist!»

Leandras Aussenschenkel wurden mit der Wasserstrahl-Methode (WAL) behandelt, bei der ein dünner Wasserstrahl in das Fettgewebe gespritzt und die Fettzellen aufgelöst werden, sodass sie danach abgesaugt werden können. Die Methode gilt als schmerzarm – ganz schmerzlos ist sie allerdings nicht. «Eine Woche lang hatte ich danach das Gefühl, einen gewaltigen Muskelkater zu haben. Ausserdem zeigten sich blaue Flecken», erinnert sich die Patientin. «Aber es war das Beste, was ich machen konnte!» Die stechenden Schmerzen in den Beinen, die sie lange Zeit gequält hatten, sind weg; in den sieben Monaten seit dem Eingriff blieben die behandelten Stellen schlank. «Eine absolute Garantie auf Erfolg gibt es auch bei dieser Methode nicht, aber die Erfolgsquote ist sehr hoch, 80 bis 90 Prozent der Frauen sind nachher beschwerdefrei», erklärt Dr. Dorka.

Demnächst wird Leandra R. auch noch störende Fettzellen an den Knien und an den Innenschenkeln behandeln lassen. Auf das Resultat freut sie sich jetzt schon: einfach auf leichten Beinen durchs Leben gehen können, so wie andere auch!

Gut zu wissen

Das Lipödem wird von den Krankenkassen zurzeit noch nicht als Erkrankung anerkannt, und die Kosten für eine Liposuktion werden nur zum Teil übernommen. Selbsthilfegruppen (www.lipoedem-schweiz.ch) setzen sich für eine Anerkennung der Erkrankung ein.