Weniger Angst, mehr Lebensqualität

Die letzten Monate, Wochen und Tage sollte kein Mensch unnötig leiden müssen oder gar alleine verbringen. Palliative Care begleitet schwer kranke Menschen und ihre Angehörigen.

Die Betreuung von sterbenden Menschen muss schwer auf der Seele lasten. So zumindest stellt man sich den Alltag auf einer Palliativ-Station vor. Monica C. Fliedner, Co-Leiterin des Universitären Zentrums für Palliative Care am Inselspital Bern, sieht das so: «Ich empfinde meine Aufgabe als schön und sehr bereichernd. Aber man muss lernen, mit bestimmten Situationen umzugehen und sie auch auszuhalten. Zusammen mit Patienten, Angehörigen und dem Team der Fachpersonen.» Die Pflegenden als Teil des Teams tun alles, damit Patientinnen und Patienten nicht unnötig leiden, sie führen viele Gespräche über das Lebensende – aber auch über das Leben. «Ziel der Palliative Care ist es nicht, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern dem Tag mehr Leben – mit Qualität füllen, aber nicht um jeden Preis verlängern», erklärt die Pflegeexpertin.

Betreuung zu Hause

In der Schweiz sterben jährlich rund 67000 Menschen. «Nur ein kleiner Teil nimmt spezialisierte Palliative Care in Anspruch», weiss Monica Fliedner. 95 Prozent der Betreuung passiert zu Hause – immer öfter werden ältere Menschen wieder bis zum Lebensende von Angehörigen betreut. Monica Fliedner: «In einigen Kantonen bieten Kirchen ‹Letzte Hilfe›-Kurse. Betreuende lernen darin, den Alltag mit einer pflegebedürftigen oder sterbenden Person zu organisieren, Symptome zu managen und mit der Pflege umzugehen, aber sich auch Pausen zu gönnen. Das ist eine Herausforderung.»

Diese Aufgabe übernimmt im Spital das Palliativ-Pflegepersonal – nach «SENS» aufgeteilt in vier Bereiche: «Es geht darum, vorauszuplanen. In den Bereich Symptombehandlung gehören Schmerzen, aber auch Einsamkeit oder Hoffnungslosigkeit. Bei der Entscheidungsfindung geht es unter anderem um die Erwartungen des Patienten an die Entscheidungen und die Frage, wie es weitergehen soll. Das Netzwerk besteht aus Familie, Freunden, Hausarzt und Spezialisten, diese beziehen wir so viel wie möglich mit ein. Der Support, die Unterstützung, beruft sich auf dieses Netzwerk und die Trauervorbereitung.» In ihrer leitenden Aufgabe führt Monica Fliedner zusammen mit einer Ärztin oder einem Arzt zu diesen Themen Gespräche mit Angehörigen und Patienten. «Wichtig ist volle Transparenz und auch das Ansprechen von Unangenehmem, um die Angst zu nehmen. Auch die Koordination zwischen Spitex und Pflegeheim gehört dazu, wenn jemand zu Hause oder im Heim weiterbetreut werden möchte.» Und sie betont, dass Palliative Care die medizinischen Massnahmen nicht einfach ablöst, wie oft angenommen wird, sondern frühzeitig als «zweite Schiene» parallel zur Therapie der Erkrankung hinzukommt.

Medizin nicht im Vordergrund

Früher arbeitete Monica Fliedner in der Onkologie. Dass der Tumor dort meist mehr im Vordergrund stand als der Patient selbst, störte sie – und, dass jede Berufsgruppe für sich alleine arbeitet. «In der Palliative Care ist das Pflegepersonal genauso wichtig wie die Ärzte oder andere Therapeuten. Es braucht alle. Wenn wir den grössten Wunsch eines Sterbenden ermöglichen können, sind das die schönen Momente in unserem Alltag.» Dass das Sterben noch immer ein Tabuthema ist, hält Monica Fliedner für falsch. «Es ist zentral, über den Tod zu sprechen, denn er gehört zum Leben – es trifft uns alle einmal. Wir sollten unsere Wünsche und Ängste aussprechen, idealerweise, solange wir gesund sind. Sind die Themen diskutiert, ist es für alle Beteiligten klarer, und man kann – und sollte – das Leben so viel wie möglich geniessen.»