Vital mit «Doktor Pilz»

Es ist Zeit, Pilze mit neuen Augen zu sehen. Erstens: Sie lassen sich auch im Winter ­sammeln. Zweitens: Sie teilen sich nicht nur auf in geniess- und ungeniessbare. Einige unter ihnen sind auch heilkräftig!

Der Ort liegt an einem Hügel am Oberen Zürichsee. Mehr will der Mann, der uns durch den Wald führt, nicht in der GlücksPost lesen; auch nicht seinen Namen. Wir stehen auf einer Forststrasse, es ist ein nasskalter Januartag, als unser Guide plötzlich ins Unterholz sticht. Zwei, drei Minuten später kommt er zurück, ein Lächeln umspielt sein Gesicht: «Judasohren», sagt er und öffnet beide Hände. «Sie wachsen gerne an alten Holunderbüschen.»

Das Judasohr gehört zu den wenigen Pilzen, die auch im Winter gesammelt werden. Seinen Namen hat es von der ohrmuschelartigen Form. Wolkenohrpilz sagen darum andere – oder: Mu Err, wie der Pilz in China heisst. Schmeckt er gut? «Nicht wirklich», sagt der Fachmann. «Judasohren haben kaum Eigengeschmack. Aber dafür sollen sie sehr gesund sein!»

Beliebter Heilpilz in China

Tatsächlich wird dem Pilz, der in der chinesischen Küche gerne verwendet wird, seit jeher eine besondere Heilkraft zugesprochen. Im grossen Standardwerk der chinesischen Medizin, dem «Pen Tsao Kang Mu» aus dem 16. Jahrhundert, wird das Judasohr als Vitalpilz gegen eitrige Geschwulste, bei erkältungsbedingtem Durchfall, zur Steigerung der physischen und psychischen Kräfte sowie gegen Hämorrhoiden und Bauchschmerzen empfohlen. Andere Mediziner im Reich der Mitte
verschrieben Mu-Err-Pilze gegen Schwächezustände nach der Geburt, bei Verstopfung der Blutgefässe, gegen Bluthochdruck, Tuberkulose und Erkältungskrankheiten.

Das ist aus heutiger Sicht wohl etwas viel für einen so kleinen Pilz. Fest steht nach jüngster Forschung indes: Judasohren enthalten neben viel hochwertigem, pflanzlichem Eiweiss das Vitamin B1, die Mineralien Magnesium, Kalium, Kalzium, Eisen, Phosphor und Silizium sowie Beta-Carotin. Medizinische Erfolge liefert der Pilz dank seinen verschiedenen Zuckerverbindungen wie die sogenannten sauren Heteroglykane.

Solche Inhaltsstoffe macht sich die Mykotherapie zu eigen, die Heilkunde mit Vitalpilzen. Dabei werden Pulver und Extrakte verschiedener heilkräftiger Pilze zur Prävention oder zur pflegenden Unterstützung eingesetzt. «Vitalpilze verfügen über spezielle bioaktive Inhaltsstoffe, die gesundheitlich relevant und in der Natur einzigartig sind. Dies ermöglicht neue Therapieansätze bei unterschiedlichen Beschwerdemustern», heisst es bei der Gesellschaft für Vitalpilzkunde Schweiz GFVS.Was für Beschwerden? Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gastritis, Infektionen, Wechseljahrbeschwerden, Durchblutungsstörungen, rheumatische Arthritis …