Ungefährlich – aber höchst unangenehm

Sie ist wenig bekannt, auf den ersten Blick nicht erkennbar und trifft vor allem ältere Frauen: die mikroskopische Kolitis, eine chronische Darm­erkrankung. Typisch sind Bauchkrämpfe und wässrige Durchfälle.

Plötzlich stimmte nichts mehr: Adriana V. (61), die ­ihrem Darm bewusst Sorge trug mit gesundem Essen, weil ihre Grossmutter seinerzeit Darmkrebs hatte, wurde zunehmend von unerklärlichen Bauchkrämpfen und Durchfall geplagt. Eine Darmspiegelung ein paar Jahre zuvor hatte ergeben: Ihr Darm war topfit. Umso erstaunter war sie, als ihre Darmregion zu rebellieren ­begann. Dass sie an einer Weizenunverträglichkeit leidet, wusste sie. Und mied darum seit Jahren bewusst Kuchen, Pasta und Brötchen aus Weizen. Ihre Hausärztin testete sie nun auf Laktose- und Glutenunverträglichkeit. Negativ. Sie schickte die Patientin darum zum Magen-Darm-Spezialisten Dr. Martin Wilhelmi für eine weitere Darmspiegelung. Auf den ersten Blick sah der Darm ganz gut aus, abgesehen von zwei kleinen Polypen, die der Arzt gleich entfernte. Ausserdem nahm er kleine Gewebeproben aus dem Darm, um sie im Labor genauer untersuchen zu lassen. Und da war die Diagnose klar: mikroskopische Kolitis – eine wenig bekannte, chronisch-entzündliche Darmkrankheit, die als ungefährlich gilt, den Alltag aber stark beeinträchtigen kann. Wir haben beim Zürcher Gastroenterologen Dr. Martin Wilhelmi (www.magendarm-spezialist.ch) nach­gefragt, was dahintersteckt.

 

GlücksPost: Was genau ist eine ­mikroskopische Kolitis?

Dr. Martin Wilhelmi: Es handelt sich um eine chronische Darm­erkrankung, die nur in Gewebeproben aus einer Darmspiegelung unter dem Mikroskop erkennbar ist – daher der Name «mikroskopische Kolitis». Bei der lymphozytären Form finden sich Entzündungszellen, bei der kollagenen Kolitis sind es Kollagenablagerungen. Diese Veränderungen führen zu Durchfällen.

Wie äussert sie sich im Alltag?

Wässriger, nicht blutiger chronischer Durchfall ist das Hauptsymptom der Erkrankung, die am häufigsten bei Frauen über dem 60. Lebensjahr auftritt. Bauchschmerzen, Gewichtsverlust oder sogar Inkontinenz (ungewollter Stuhlverlust) können auftreten.

Was sind die Hauptursachen?

Ganz klar ist das nicht. Zum einen wird eine Autoimmunität angenommen, d. h. das Immunsystem erkennt Bestandteile der Darmwand als «fremd» und versucht, sie zu bekämpfen. Eine weitere These hält bestimmte Allergene als auslösenden Faktor. Es ist aber nicht klar bewiesen, welche Aller­gene dies sind. Auch Nebenwirkungen von Medikamenten oder bakterielle Infektionen werden als Ursache diskutiert.

Welche Rolle spielt die Psyche? ­Adriana V. nimmt seit 20 Jahren ­Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gegen ihre Angststörung ein.

Die Psyche hat einen grossen Einfluss auf unser Magen-Darm-System. Insbesondere bei Reizdarmbeschwerden kann unter psychischer Belastung oder auch bei ­Depressionen eine Verschlechterung der Beschwerden auftreten. Während beim Reizdarm jedoch keine Veränderungen im MagenDarm-Trakt nachweisbar sind, finden sich bei der mikroskopischen Kolitis Entzündungen im Gewebe. Einige Medikamente werden als Trigger für diese Erkrankung diskutiert, vor allem sogenannte nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie z.B. Ibuprofen. Aber auch Säurehemmer (Protonenpumpeninhibitoren) und die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer können eine Rolle spielen. Prinzipiell ist das Absetzen solcher Medikamente empfohlen, wenn möglich.

Sind Betroffene gefährdeter, ­Darmkrebs zu bekommen?

Ganz klar: Nein!

Gibt es Medikamente, die eine ­mikroskopische Kolitis heilen?

Eine wirkliche Heilung kann derzeit durch Medikamente nicht erreicht werden. Man kann in leichten Fällen jedoch einfach die Symptome bekämpfen, z. B. mit Loperamid (Immodium). Die Entzündung kann man häufig mit einer Therapie mit Budesonid behandeln, das in der Regel über 6 bis 8 Wochen verabreicht wird. Häufig hält nach dieser Therapie eine ­Beschwerdefreiheit an. Es kann jedoch zu einem Rückfall kommen, sodass man die Therapie wiederholen muss. In sehr schweren und seltenen Fällen kommen auch andere Medikamente wie Immunsuppressiva zum Einsatz.

Und wie sieht es mit der Ernährung aus: Was hilft?

Eine klare Ernährungsempfehlung fehlt für diese Erkrankung. Gibt es zusätzlich Unverträglichkeiten, wie eine Laktoseintoleranz, sollte dies sicherlich berücksichtigt werden. Die Reduktion von Kaffee und anderen koffeinhaltigen Produkten sowie von Nikotin kann hilfreich sein.

Buchtipp

Dr. med. Martin ­Wilhelmi ist Autor von zwei Büchern: «Der Po-Doc» (Trias Verlag, Fr. 19.90) und «Nie ­wieder Blähbauch» (GU Verlag, Fr. 29.20).