Spitzenmässig gesund
Ballett begeistert auch Senioren und hält doppelt fit: Beim klassischen Tanz werden Muskeln und Gehirn gleichzeitig trainiert.
Balletttanzen mit 80? Bei Hedy dauert es gar nicht mehr allzulang, bis sie dieses Alter erreicht hat, und so wie sie für ihre Pliés in die Knie sinkt, gibt es eigentlich keinen Zweifel, dass sie auch dann noch mit Begeisterung dabei sein wird. Genauso wie ihre sieben Jahre jüngere Kollegin Martine, die sich zum Ziel gesetzt hat, auch mit 80 noch den Spagat machen zu können. Zurzeit schafft sie ihn mühelos, und wenn sie danach beim Training ihr gestrecktes Bein auf die Stange legt und sich darüberbeugt, bis die Nasenspitze das Knie erreicht, kann man nur staunen über diese Beweglichkeit, diese Leichtigkeit und diese Grazie.
Gute Gene? Sicher auch, denn die Schülerinnen und Schüler in der Ballettklasse von Sylvia Roth sehen alle bedeutend jünger aus, als sie in Wirklichkeit sind. Das liegt zum Teil aber auch an ihrer Haltung. Und die wiederum verdanken sie zu einem schönen Teil ihrem Hobby, dem Ballett. «Wenn wir das nicht machen würden, wären wir sicher weniger fit», schmunzelt der gross gewachsene Walter, der einzige Mann in der Klasse. Er ist 82, kein Witz. Und ziemlich cool.
Für Dr. Andrea Schärli, Sportwissenschafterin an der Universität Bern, ist das nicht erstaunlich: «Ballett ist eine wunderbare Art, sich jung und gesund zu halten», erklärt die Forscherin, die selber tanzt und als Tanzdozentin tätig ist. «Jede Bewegungsaktivität ist natürlich gesund, Ballett hat zudem den Vorteil, dass es nicht nur die physischen Fähigkeiten trainiert, sondern auch die kognitiven. Darum ist Tanz auch im Trend, sogar als Prävention für Leiden wie Alzheimer. Komplexe Bewegungsaktivitäten sind gesund, grad für ältere Leute, sie helfen auch bei der Prävention gegen Stürze. Laut einer Studie ist Tanzen eine von wenigen Aktivitäten, die mit einem reduzierten Risiko für Demenz in Zusammenhang gebracht werden.»
Sportarten wie Joggen oder Krafttraining halten zwar Herz und Kreislauf fit, den Kopf fordern sie aber kaum. Schrittfolgen im Ballett im Kopf zu behalten, ist dagegen eine ordentliche Herausforderung. Davon profitieren vor allem Senioren. Neben Muskel-, Beweglichkeit und Kopftrainig hat Ballett zudem auch eine Wohlfühl-Komponente: Es wird zu Musik ausgeführt, spricht auch die Seele an – und man macht es in einer Gruppe, ist auch in Kontakt mit andern. Weniger geeignet ist es dagegen als Herz-Kreislauf-Training oder zum Abnehmen, stellt Dr. Schärli klar: «Dafür ist es zu wenig intensiv.»
Auch mit Arthrose an die Stange
Wer sich in reifem Alter für Ballett interessiert, hat heutzutage keine grosse Mühe, einen Kurs zu finden. Sogar die Migros-Klubschule bietet «Ballett für Erwachsene» an,
Altersgrenzen nach oben gibt es keine. Aber auch keine halben Sachen. «Ich mache kein Altersballett», betont die Zürcher Tanzpädagogin Sylvia Roth, die sich ganz dem «Ballett für Erwachsene» verschrieben hat und viele Schülerinnen im Rentenalter unterrichtet. Aber eben auch 20- und 30-Jährige, der Altersdurchschnitt in ihren Klassen liegt ungefähr bei 40, die meisten Klassen sind bunt gemischt. Viele ihrer «Späteinsteigerinnen» haben früher schon mal getanzt, Bedingung ist das aber nicht. Man kann auch mit 50 bei null beginnen, Freude haben und sich gesund halten. «Sogar bei Arthrose ist Ballett geeignet, weil die Übungen sehr kontrolliert sind und die Hälfte des Trainings an der Stange stattfindet», findet Sportwissenschafterin Schärli. Bei Sprüngen und Drehungen muss man dann halt vielleicht pausieren.
Eine grosse Ausrüstung brauchen Neulinge übrigens nicht, Trikot und Trainingsschuhe genügen. Spitzenschuhe sind nicht nötig, Spitzentanz gehört beim Hobby-Ballett normalerweise nicht dazu. Auch wenn es ein spitzenmässiges Rundum-Training ist.