Seien Sie doch mal frech!

Hin und wieder sagen, was alle denken, aber keiner zu sagen wagt, und sich nicht immer alles gefallen lassen: Das hält seelisch und körperlich gesund! Die Coachin Petra Wüst ermuntert Frauen dazu, zu sich zu stehen.
  
Frauen, die frech, wild und wunderbar sind, packen ihr Leben beherzt und gleichzeitig spielerisch an. Dadurch gelingt es ihnen, ihre Träume zu verwirklichen und ihre Talente selbstbewusst zu entfalten», sagt Petra Wüst.
 
GlücksPost: Sei frech, wild und wunderbar, steht auf Ihrem Buch. Geht das zusammen?
Petra Wüst: Auf den ersten Blick ist das ein Widerspruch. Denn Frauen sind nicht frech und wild, sie sind brav und angepasst, so verlangt es zumindest das traditionelle Frauenbild. Und genau darum geht es in meinem Buch: Es zeigt Frauen, dass sie wunderbar sein können – nicht obwohl, sondern weil sie frech und wild sind. Es zeigt ihnen einen Weg auf, der sie zu den Dingen führt, die sie sich wünschen.
 
Heisst Ihre Aufforderung, dass wir zu nett sind?
Das klingt, wie wenn «nett sein» etwas Schlechtes wäre. So ist es nicht. Was Sie als «zu nett» bezeichnen, ist die andere Seite der Medaille. Frauen besitzen eine hohe Beziehungsintelligenz, sie haben ein gutes Gespür für Zwischentöne, sind rücksichtsvoll und empathisch. Darauf können wir stolz sein. Wenn wir allerdings die eigenen Bedürfnisse verleugnen, nur um es anderen recht zu machen, schaden wir uns selbst. Dann verkehrt sich diese Stärke ins Negative.
 
Woran liegt es, dass Frauen sich trotz Emanzipation zu sehr an anderen und zu wenig an sich selbst orientieren?
Von klein auf erleben Kinder, wie man als Mädchen zu sein hat und wie als Junge. Denn die traditionellen Rollenklischees, die Generationen geprägt haben, wirken nach wie vor. Mädchen werden für braves Verhalten gelobt und dazu angehalten, sich um die 
Gefühle und das Wohlergehen 
anderer zu kümmern. Sie lernen, dass sie vor allem geliebt werden, wenn sie nett, angepasst und hilfsbereit sind. Diese Motivationsmuster bleiben im Erwachsenenalter erhalten.
 
Wie können wir das ändern?
Zunächst müssen wir anerkennen, dass die Rollenmuster nach wie vor existieren. Indem wir Entscheidungen kritisch hinterfragen und uns bewusst werden, warum wir ein bestimmtes Verhalten wählen und dass es immer Alternativen gibt, können wir verhindern, dass diese Mechanismen uns unbewusst steuern. Ebenfalls hilfreich sind Vorbilder, die Mut machen: Frauen, die es gewagt 
haben, aus ihrer traditionellen Rolle auszusteigen und die beherzt ihren Weg gehen – und dabei glücklich und erfolgreich sind.
 
Sie sprechen von typischen «Frauenfallen». Über welche stolpern wir am häufigsten?
Da ist der Wunsch nach Perfektion. Wir glauben, dass wir nur Zuneigung und Anerkennung erhalten, wenn wir perfekt sind. Und so versuchen wir die perfekte Mutter, Ehefrau, Mitarbeiterin, Freundin und Tochter zu sein. Nur um zu merken, dass es nie reichen wird, egal, wie sehr wir uns bemühen.
Zudem fällt es vielen Frauen schwer, Grenzen zu setzen. Aus Angst, den anderen zu verstimmen oder ihn gar zu verlieren, schlucken wir Widerspruch, statt machtvoll zu zeigen: «Bis hierhin und nicht weiter».
Die gefährlichste Falle aber sind die Schuldgefühle. Selbst wenn wir Frauen nicht die Ursache des Problems sind, suchen wir die Schuld häufig bei uns. Wir grübeln und fragen uns: «Wie konntest du nur …?» und «Warum hast du nicht …?» Bohrende Fragen, die direkt in Scham und Selbstzweifel übergehen und am Selbstbewusstsein nagen.
 
Wie meidet man sie?
Indem wir den Mut zum Unvollkommenen kultivieren und uns bewusst werden, dass wir nicht für alles verantwortlich sind. Dass wir nicht perfekt sein müssen, um liebenswert zu sein, sondern Fehler machen dürfen – nein: müssen! Denn gerade unsere Makel, Ecken und Kanten machen uns zu der wertvollen Person, die wir sind. Eine Person, die grosszügig und liebevoll zu sich selbst ist, die für ihre Wünsche einsteht, auf ihre Bedürfnisse pocht, und die sich nicht selbst wegen Nichtigkeiten kleinredet.