Schluss mit dem Retterspiel

Wer hilft, meint es gut. Doch einige meinen es ­etwas zu gut, denn: Wahre Hilfe ist, wenn man die Person, die Hilfe braucht, darin unterstützt, wie sie sich selbst helfen kann.

Menschen müssen gerettet werden, wenn sie sich selbst nicht helfen können – bei einem Unfall etwa oder bei schwerer Krankheit. Zum Glück sind solche Notfälle selten. Trotzdem gibt es viele Rettungsaktionen.

Zum Beispiel die von Elena. Weil es in der Beziehung ihrer Freundin Andrea kriselt und sie auch im Job unglücklich ist, nimmt Elena alles in die Hand. Sie macht Andrea klar, dass es besser ist, vorübergehend bei ihr zu wohnen. Ausserdem bringt sie deren Bewerbungsunterlagen auf den neuesten Stand und weist sie täglich auf Stellenausschreibungen hin. Doch anstatt dass Andrea ins Handeln kommt und ihre Probleme anpackt, geht sie zurück zum Freund und Job. «Ich kann nicht anders», sagt sie zu Elena.

Wir können die Probleme von anderen nicht lösen. In diesem Sinne können wir auch niemanden retten. Versuchen wir es doch, geraten wir auf die Abwärtsspirale des Retter-Opfer-Spiels: Der Retter nimmt das Leben des Opfers in die Hand und gibt ihm damit zu verstehen, es alleine nicht schaffen zu können.

Indem das Opfer zulässt, dass ihm die Verantwortung für bestimmte Situationen abgenommen wird, schwächt dies sein Selbstvertrauen. Die Folge: Das Opfer bleibt in der «Ich-kann-nicht-Haltung» gefangen. Aber auch der Retter ist es. Denn so menschenfreundlich und uneigennützig seine Hilfe auf den ersten Blick auch aussieht: Oft ohne dass es ihm bewusst ist, will er Macht – er will sich gut fühlen, indem er das Gegenüber schwächt.

Da drängt sich die Frage auf: Ist helfen schlecht? Ist es nicht. Entscheidend ist, wie man es tut: Wer wirklich helfen will, der macht es sich zum Ziel, den anderen so zu stärken, dass dieser sich selbst helfen kann.

Wirklich helfen – die Tipps

  • «Hilf mir!», «Ich brauche dich!», «Ich kann es nicht alleine»: Seien Sie hellhörig bei solchen Aussagen, und grenzen Sie sich ab, wenn Sie das Gefühl haben, dass jemand versucht, Sie auf die Opfer-Retter-Spirale zu ziehen.
  • Klar wollen Sie nicht, dass Ihre Lieben leiden. Trotzdem setzen Sie sich ehrlich mit diesen Fragen auseinander: Weshalb will ich zum Beispiel meiner Schwägerin helfen? Tue ich es aus Pflicht- oder Schuldgefühl? Will ich ihr helfen, damit ich ihre Anerkennung bekomme? Tue ich es, weil ich mich dann gut fühle? Oder will ich, dass sie tut, was ich möchte?
  • Die beste Basis fürs Helfen ist, zu akzeptieren, dass Sie die Probleme anderer nicht lösen können. Sagen Sie das der Person, der Sie helfen wollen: «Ich kann dich auf deinem Weg unterstützen, lösen kann ich dein Problem für dich nicht. Das kannst nur du selbst.»
  • Helfen Sie, indem Sie das Selbstvertrauen des Hilfesuchenden stärken. Mit Aussagen wie: «Das schaffst du», «Darin bist du gut», «Wenn du das wirklich willst, kannst du das erreichen».
  • Wollen Sie jemandem helfen, tun Sie nichts, worum diese Person Sie nicht gebeten hat. Und tun Sie nie mehr, als der Hilfesuchende tut.
  • Jemandem helfen heisst nicht, sich selbst zu vergessen. Achten Sie auf sich und Ihre Kräfte. Sagen Sie, dass Sie nicht mehr zuhören wollen, weil Sie müde sind. Oder, dass Sie jetzt keine Zeit haben, weil Sie mit einer Freundin abgemacht haben.