Otolithen im Ohr – was tun?

So klein und so lästig! Winzige Kalkkristalle, die sich im Ohr lösen, verursachen ­Lagerungsschwindel – die häufigste Erkrankung des Gleichgewichtsorgans im Ohr. ­Spezielle «Manöver» auf einem Drehstuhl helfen, die Kristalle zurückzubewegen.

Otolithen, auch Statolithen oder ganz einfach Ohrsteine genannt, sind winzig kleine Kalziumkarbonat-Kristalle. Unter gewissen Umständen können sie sich von ihrer eigentlichen Position im Vorhof der Bogengänge lösen und sich frei bewegen. Sie sind Teile des Gleichgewichtsorgans – kleine, mit Flüssigkeit gefüllte Röhrchen. Die feinen Härchen im Innern sind mit den Nervenzellen verbunden. Bewegen wir uns, bewegen sich auch die Flüssigkeit und die Härchen, die Nervenzellen leiten die Bewegung an das Gehirn weiter. Das führt bei gelösten Otolithen zum sogenannt gutartigen Lagerungsschwindel. Bei rund 20 Prozent der Patienten, die aufgrund von ungeklärten Schwindelanfällen im Schwindelzentrum des Berner Inselspitals behandelt werden, bilden Otolithen die Ursache.

Diagnose meist eindeutig
Bei jeder Bewegung werden die Otolithen verlagert, sinken an den aktuell tiefsten Punkt im Bogengang und reizen die Sinneszellen. Die Folge ist ein kurzer, heftiger Drehschwindel, teilweise begleitet von Übelkeit und Erbrechen. Am schlimmsten sind die Symptome bei plötzlichen Kopfbewegungen, beim Aufstehen oder Hinlegen, beim Drehen im Liegen wie auch beim Neigen des Kopfes oder bei schnellem Bücken. «Die typischen Augenbewegungen während eines Anfalls lassen uns den Lagerungsschwindel relativ einfach mittels Video-Brille diagnostizieren», erklärt Dr. med. Hassen Kerkeni vom Schwindelzentrum des Inselspitals Bern. «Durch bestimmte Bewegungen auf einem ganz speziellen TRV-Stuhl, auf dem die Patienten mit besagter Brille Platz nehmen, versuchen wir, den Schwindel auszulösen. So stellen wir fest, welches Ohr betroffen ist und ob vertikale oder horizontale Bewegungen den Schwindel verursachen.» Ohne klare Ursache, wie beispielsweise ein Sturz oder eine Operation, lösen sich die Otolithen meist erst im höheren Alter, häufiger trifft es Frauen.

Einfach zu behandeln
Im Inselspital wird nicht nur für die Diagnosestellung, sondern auch bei der Therapie auf den TVR-Stuhl gesetzt: «Wir führen mithilfe des Stuhles gewisse Manöver durch, die dafür sorgen, dass die Tausendstelmillimeter kleinen Kalziumkarbonat-Kristalle wieder aus den Bogengängen heraus an den ursprünglichen Ort zurückbewegt werden.» Ärzte können die Manöver auch manuell durchführen, der TVR-Stuhl hat jedoch klare Vorteile: «Damit kann man den Patienten in allen Achsen und viel präziser, schneller und schonender bewegen. Kopf und Körper werden gleichzeitig bewegt und weil der Patient sicher angeschnallt ist, können auch extreme Winkel angesteuert und ganz schnelle Bewegungen ausgeführt werden, was für die Therapie sehr wichtig ist.» Unmittelbar danach wird getestet, ob die Kristalle wieder am richtigen Ort sind und ob die Therapie erfolgreich war. «In 80 Prozent der Fälle reichen ein bis zwei Manöver von je rund drei Minuten aus.» Es gibt nur selten Patienten, bei denen die Therapie nicht erfolgreich ist. Dann aber wird es mühsam, denn auch Medikamente helfen nicht. Betroffene müssen lernen, mit den Schwindelattacken umzugehen und das Manöver selber durchzuführen.

Besonders lästig ist es, wenn durch Bewegungen im Schlaf Schwindelattacken ausgelöst und Betroffene so aufgeweckt werden. Auch das Sturz- und Unfallrisiko ist erhöht. Dr. Kerkeni: «Bei schweren Fällen, wie sie beispielsweise nach einen Schädel-Hirn-Trauma auftreten können, sind die Manöver weniger wirksam – können aber immerhin zur Gewöhnung beitragen.»