Nicht schreien, bitte!

Niemand mag streiten, und wenn es dabei laut zugeht, ist es für beide Parteien unbefriedigend. Doch Auseinandersetzungen können wichtig sein, um schwelende Probleme zu lösen, sagt Streit-Experte Werner Troxler.

Es ist leider so: Gerade in den Ferien wird oft gestritten. Da kommt das Buch des Streit-Experten genau richtig. Und seine Tipps für ein friedliches Mitein­ander natürlich auch. «Die Hirnforschung hat nachgewiesen, dass Männer langsamer denken und mehr Zeit benötigen, um zwischenmenschliche Probleme zu lösen», sagt Werner Troxler. «Frauen kennen meist schon die Lösung, während er noch danach sucht. Viele Männer schweigen, weil sie sich in ihre ‹geistige Höhle› zurückziehen müssen, um sich Klarheit zu verschaffen. Lässt der Druck der Frau nicht nach, ziehen sie sich entweder ins Schneckenhaus zurück und entziehen sich der Diskussion oder reagieren aggressiv, weil sie überfordert sind.»

GlücksPost: Herr Troxler, 
warum streiten wir überhaupt?

Werner Troxler: Jeder ist ein kleines Universum an Vorstellungen, Werten, Erfahrungen, Bedürfnissen und Gefühlen. Wenn zwei Menschen zusammenkommen, prallen zwei Welten aufeinander. Wir erleben dies schon bei der 
ersten Begegnung. Ohne sich zu kennen, fällen wir intuitiv ein Urteil: Der eine ist uns sympathisch, der andere weniger. Dieses dauernde Bewerten ist die Grundlage des Streitens. Wir können also verkürzt sagen: Wir streiten, weil wir alles aus unserer Sicht bewerten.

Worüber streiten wir denn am 
meisten?

Aus meiner Beobachtung gibt es zwei Schlüsselthemen. Der eine Streitgrund ist «Geld», stellvertretend für die materiellen Belange. In Beziehungen gehen die Meinungen, für was wie viel ausge­geben wird, oft weit auseinander. Der zweite Streitpunkt entsteht durch die «Bevormundung». Er oder sie sollte gut finden, was 
wir für richtig halten. Die vielleicht gut gemeinten Ratschläge wandeln sich oft in Anweisungen, Forderungen und in ständiges Nörgeln um. Bis dem anderen 
der Kragen platzt und ein Krach entsteht.

Ist häufiges Streiten in der 
Beziehung ein Zeichen dafür, 
dass etwas nicht stimmt?

In jeder normalen Beziehung gibt es Unstimmigkeit oder Streit. Wird aber häufig gestritten, ist 
ein Machtkampf im Gange, der letztlich nur Verlierer hinterlässt. Diesen Paaren ist zu raten, ihre 
Erwartungen, Bedürfnisse und Wertvorstellungen offen auf den Tisch zu legen. Anschuldigungen und Beleidigungen führen definitiv nicht zu einer Lösung.

Was braucht es, um klug und 
konstruktiv zu streiten?

Einsicht in die eigenen Wünsche, Befürchtungen, Bedürfnisse.

Wie können wir es lernen?

Eine von gegenseitigem Respekt getragene Streitkultur baut auf drei Einsichten auf:

  1. Will ich meine Wut abreagieren und mein Gegenüber verbal prügeln, oder will ich eine Lösung? Nur eine echte Lösung hat eine nachhaltige Zukunft.
  2. Bin ich bereit zuzuhören – 
oder habe ich von vornherein recht? Echtes Zuhören bedingt 
Offenheit für eine andere Ansicht und Bereitschaft, diese Meinung fair zu bewerten. Allenfalls sogar klüger zu werden und diese 
Meinung anzunehmen.
  3. Weiss ich, was unser wirklicher Streitpunkt ist? Wir streiten oft über Stellvertreter-Themen und meiden den wahren Konflikt­auslöser.

Streiten – hat das auch was 
Positives?

Ja, es hilft, mehr über die eigenen Ansichten und Bedürfnisse, aber auch die des Gegenübers zu erfahren. Wer jedem Streit ausweicht, gibt sich und seine Bedürfnisse auf. Ein Streit bietet zudem die Chance, ein schwelendes Problem, das nie angesprochen wird, an die Oberfläche zu bringen und zu lösen.

Was sind Ihre drei Tipps für ein friedliches Miteinander?

  1. Seien Sie für den anderen 
berechenbar. Das bedeutet, dass das, was Sie sagen, wahr und das, was Sie tun, fair ist und damit 
der Beziehung nicht schadet.
  2. Reden Sie nicht über andere, sondern über das, was Sie freut oder stört, was Sie beschäftigt oder frustriert. Erzählen heisst, den anderen am Leben teilhaben zu lassen. Es schafft Nähe und Vertrauen.
  3. Verzeihen können. Niemand ist perfekt! Orientieren Sie sich 
an den 80 Prozent, die wertvoll und schön sind, und akzeptieren Sie die 20 Prozent, die unvoll­kommen sind.

2015-30-Schreien Buchtipp