«Man kann viel präziser behandeln»

Die Überlebenschancen bei Brustkrebs haben sich in den letzten Jahren ständig erhöht. Das liegt an den besseren Behandlungsverfahren, insbesondere an der individuelleren Versorgung sowie an den Möglichkeiten der Immuntherapie.

Ein Schock ist es immer noch, wenn die Diagnose lautet: Brustkrebs. Denn sie bedeutet meistens Operation und langwierige Behandlungen. Doch die Möglichkeiten sind heute so fortgeschritten, dass man von guten Heilungschancen sprechen kann. «Wenn der Tumor nur in der  Brust ist und noch nicht gestreut hat, hat man heute Heilungsraten  von 99 Prozent», erklärt Dr. med. Karl Thomas Beer, Chefarzt Radio-Onkologiezentrum Biel-Seeland-Berner Jura. Wir fragten ihn, woran das liegt.

GlücksPost: Ist die Behandlung von Brustkrebs heute ein Klacks?

Dr. Karl Thomas Beer: Ein Klacks ist es nicht. Es ist eine lange Behandlung, sie geht zum Teil über Monate und sie hat Nebenwirkungen, auch heutzutage.

Was hat sich denn geändert gegenüber früher?

Heute kann man sehr viel präziser behandeln und vor allem individualisiert, genauer auf die Patientin zugeschnitten. Die sogenannte Basisforschung hatte für die Patientin jahrelang wenig Konsequenzen, seit einigen Jahren aber schon: Anhand von Chromosomenanalysen erkennt man Mutationen, die den Tumor bösartiger machen, und kann diese Mutationen ganz gezielt lahmlegen. Das geschieht meistens durch Immuntherapie, sie gehört mittlerweile zum Standardrepertoire. Auch die Chemotherapie hat sich gewandelt, man kombiniert mehrere Wirkstoffe, damit der Tumor nicht unempfindlich wird. Es gibt Tumore, die mehr bestrahlt werden müssen, dafür kann man die Chirurgie einschränken. Bei anderen kann man die Bestrahlung weglassen. Man hat heute einen ganzen Strauss an Möglichkeiten. In sogenannten Tumorboards besprechen mittlerweile alle Spezialisten miteinander das Vorgehen, oft sogar bereits vor der Operation, und stimmen die weitere Behandlung genau auf die Patientin ab.

Ist auch die Belastung  für die Patientin weniger gross?

Ich denke schon. Man operiert heute viel genauer. Während  man früher viele Lymphknoten entfernte, ist es heute häufig nur noch einer, der sogenannte Wächterlymphknoten. Ist er in Ordnung, braucht man gar nicht weiter zu operieren und es gibt weniger Nebenwirkungen. Auch bestrahlen kann man genauer, zum Beispiel mit einem Oberflächen-Erkennungssystem. Es hat den Vorteil, dass die Patientinnen keine auf der Haut aufgeklebte Markierungen tragen müssen, durch die sie sich gezeichnet fühlen von der Krankheit. Das System ermöglicht eine präzisere Bestrahlung als mit den Markierungen – für mich als Arzt ist das entscheidend.

Und die Heilungschancen?

Sie sind viel besser. Früher galt eine Patientin als geheilt, wenn  sie nach fünf Jahren noch lebte, mittlerweile sind wir bei zehn bis 20 Jahren. Wenn der Tumor nur in der Brust ist und komplett entfernt wurde, hat man Heilungschancen bis zu 99 Prozent. Sind Lymphknoten befallen, ist es schwieriger, aber auch dann sind es noch 85 Prozent – das erreichte man früher nur, wenn der Tumor auf die Brust begrenzt war.

Aber es gibt auch schlechte Prognosen?

Wenn die Lymphknoten befallen sind, der Tumor gestreut hat oder wenn es ein aggressiver Tumor ist, sind die Heilungschancen weniger hoch. Bei älteren Frauen sprechen Tumore oft gut auf Hormontherapien an, aber bei jüngeren Frauen gibt es Tumore, die dies nicht tun, die schnell wachsen und sehr aggressiv sind. Wie eine Patientin allerdings auf die Behandlung reagiert, weiss man nie. Wir haben heute viel bessere Möglichkeiten, aber garantieren, dass alles gut kommt, können wir nicht. Ich weiss nicht, ob wir das jemals können werden.