Machtlos gegen den Schlaf

Viele Menschen leiden unter Schlaflosigkeit. Nicht so Narkolepsie-Patienten! Sie verspüren eine sonderbare Müdigkeit, schlafen überall und mehrmals am Tag ein – mitten im Gespräch, beim Arbeiten und einige sogar beim Sex.

Vor drei Stunden ist Reto W. aufgewacht. In etwa einer Stunde wird er sich erneut hinlegen müssen, um zu schlafen. Sonst läuft er Gefahr, mitten im Gespräch mit seinem Chef einfach einzunicken. Diese anfallsartig auftretende Müdigkeit wird Narkolepsie genannt und tritt erstmals meist im jungen Erwachsenenalter auf. Reto W. war 14 Jahre alt, als er diese sonderbare Müdigkeit zum ersten Mal spürte und im Unterricht dauernd einschlief.

Unwiderstehlich müde

«Das brachte mir einen Riesenärger mit den Lehrern ein, die dachten, ich sei zu wenig ausgeruht und interessiere mich nicht für den Schulstoff», sagt der 32-jährige Logistiker rückblickend. Auch in der Lehre wurde es mit der Einschlafneigung nicht besser «und einige Kollegen dachten, ich sei einfach zu faul zum Arbeiten».

Reto W. ist kein Einzelfall: In der Schweiz erkrankt etwa eine von 2000 Personen an Narkolepsie. Die Ursache liegt einerseits im Erbgut, andererseits sind auch Umweltfaktoren an der Entstehung der Krankheit beteiligt. «Es handelt es sich um eine Störung der Schlafwachregulierenden Zentren im Gehirn», erklärt Prof. Claudio Bassetti, Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital Bern. Das auffälligste Merkmal ist das überfallartig auftretende, unwiderstehliche Schlafbedürfnis, bei dem die Betroffenen keine Chance haben, wach zu bleiben. Zudem treten häufig kurze Attacken von Muskelschwäche bei Bewusstsein auf, die zum Hinfallen führen können. In der Fachsprache wird dies als Kataplexie bezeichnet. «Die Attacken werden fast immer durch Emotionen wie Freude und Überraschung ausgelöst», erklärt Bassetti weiter.

Lebensqualität beeinträchtigt

Grundsätzlich treten die Schlafattacken in Situationen auf, in denen auch gesunde Menschen eine gewisse Schläfrigkeit verspüren, zum Beispiel bei längerem Sitzen, nach einem Essen, während eines Telefongesprächs oder beim Autofahren. «Viele Betroffene denken zuerst, dass es sich bei ihrer Müdigkeit um eine normale Erscheinung handelt», so der Arzt. Die Diagnose Narkolepsie gilt erst dann als gesichert, wenn sich zu der plötzlichen Einschlafneigung auch die Kataplexie gesellt.

Wie bei vielen anderen Erkrankungen gibt es auch bei der Narkolepsie verschiedene Schweregrade. «Es gibt Patienten, die sehr oft und vor allem überall einschlafen, sogar beim Zahnarzt oder beim Sex», erklärt Bassetti. Da liegt es auf der Hand, dass die Betroffenen nicht nur unter der Erkrankung an sich, sondern auch seelisch leiden.

Medikamente bei Narkolepsie

Je früher die Krankheit erkannt wird, desto besser. Obwohl es derzeit noch keine Heilung gibt, ist Narkolepsie mit Medikamenten gut zu behandeln. Stimulantien erhöhen den Gehalt von wechselnden Botenstoffen im Gehirn und werden daher therapeutisch eingesetzt. Auch die Kataplexie kann durch Medikamente beseitigt werden. Bei Narkoleptikern fehlt ein bestimmter Botenstoff im Gehirn – das Hypocretin. Claudio Bassetti: «Es bestehen berechtigte Hoffnungen, dass die Narkolepsie durch eine Gabe von Hypocretin oder ähnlichen Stoffen eines Tages medikamentös direkt behandelt werden kann.»