Krank ohne Befund

Der Gedanke daran macht schon krank: Ein Mensch hat jahrelang Schmerzen oder andere Beschwerden, und kein Arzt findet den Grund dafür. Eine spezielle Fachstelle ­bietet den «Patienten ohne Diag­nose» nun Hilfe an.

Es begann mit starker Übelkeit, dann folgten Attacken mit Erbrechen und Darmkrämpfen. «Ich dachte an einen Magen-Darm-Infekt und ging zum Arzt», sagt Susanne V. aus Zürich. Doch der konnte nichts Krankhaftes finden. Die Übelkeit und die Unterleibsschmerzen aber blieben. Es folgten eine Darm- und Magenspiegelung und viele weitere Untersuchungen, alle endeten ohne Diagnose. Wie der 37-jährigen Verkäuferin geht es vielen Menschen: Sie verlassen die Arzt-Praxis «ohne Befund» – die Schmerzen und Beschwerden bleiben aber bestehen und die Ratlosigkeit bei den Betroffenen wird immer grösser.

Jahrelanger Leidensweg

«Die meisten unserer Patienten haben in der Tat eine zum Teil jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, getrieben von der Hoffnung, dass ihnen endlich jemand helfen und sagen kann, woran sie leiden», sagt Jana Habermann, Oberärztin und Koordinatorin der interdisziplinären Fachstelle des Universitätsspitals Zürich (s. Info unten). Die Ärzte dort nehmen sich der Menschen an, die meist eine Vorgeschichte mit vielen Arztbesuchen hinter sich haben, ohne dass ihnen geholfen werden oder eine Diagnose gestellt werden konnte.

Strenges Aufnahmeverfahren

Aufgrund der verschiedenen Arztbesuche fehle sehr häufig ein Überblick über das «grosse Ganze», und Jana Habermann und ihre Kollegen sichten oft Krankenakten und Arztberichte mit mehr als 100 Seiten. «Diese werden studiert und in der Sprechstunde diskutiert und zusammengefasst, was sehr viel Zeit erfordert.» Seit der Gründung der Fachstelle im Jahr 2017 sind 78 Patienten vorstellig geworden. Ihre Beschwerden sind vielfältig, «zumeist treten die Symptome nicht einzeln auf». Zu Beginn der Behandlung, die nach einem strengen Aufnahmereglement abläuft, erfolgt eine Fallbesprechung mit Ärzten aus verschiedenen Fachrichtungen im Expertenkomitee. Die Wartezeit beträgt aufgrund der hohen Nachfrage und der begrenzten Kapazitäten mindestens sechs Monate. «Dann wird entschieden, ob weitere Diagnosemassnahmen zielführend sind.»

Genetische Erkrankungen sind eher selten

So kommt es vor, dass der Leidensweg der Patienten ein Ende hat und tatsächlich eine Krankheit wie beispielsweise eine Muskelschwäche, eine Stoffwechselstörung oder eine genetische Erkrankung festgestellt werden. «Dies ist aber eher selten der Fall», so Jana Habermann. Obwohl die Hoffnungen der Patienten oft vielleicht in eine andere Richtung gehen – häufig kommen die Spezialisten der Anlaufstelle zum selben Schluss wie die vom Patienten zuvor konsultierten Ärzte, und es wird eine psychosomatische Diagnose gestellt. Diese kann für alle Beteiligten entlastend sein, da sie nun mit Sicherheit wissen, dass keine lebensbedrohliche Krankheit vorliegt. «Die Patienten fühlen sich bei uns ernst genommen, wir hören ihnen zu und setzen uns intensiv mit ihrer Problematik auseinander.» Oft sei bereits dies ein Anstoss, beim Patienten einen «selbstheilenden Prozess» auszulösen.

Info

Fachstelle bietet Hilfe an

Eine interdisziplinäre Fachstelle des Universitätsspitals Zürich (USZ) nimmt sich Menschen mit chronischen körperlichen Beschwerden an, die bis anhin keine eindeutige Diagnose erhalten haben. Der oder die Betroffene wird meist vom Hausarzt oder von einem Spezialisten an die Anlaufstelle überwiesen. Via Internet (www.zentrumseltenekrankheiten.ch) ist aber auch eine direkte Kontaktaufnahme durch den Patienten möglich.