«Kräuter haben eine enorme Kraft»

Hauptberuflich leitet Ulrike von Blarer eine Heilpraktikerschule. Ihre Leidenschaft gehört aber auch der Kräuterkunde. Darüber verfasst sie wunderbare Artikel, die jetzt zu einem Buch zusammengefasst wurden.

Mit Heilpflanzen kennt sie sich aus. 30 von ihnen hat Ulrike von Blarer ausführlich porträtiert in ihrem Buch, das zum Jubiläum des 30-jährigen Bestehens der Heilpraktikerschule Luzern erschienen ist. Und sie hält viel von der Kraft der Pflanzen. Wir fragten sie warum.

GlücksPost: «Baldrian macht munter» heisst Ihr Buch. Da staunt der Laie – Baldrian hilft doch schlafen?

Ulrike von Blarer Zalokar.

Ulrike von Blarer Zalokar.

Ulrike von Blarer Zalokar (Bild): Ja, pharmakologisch betrachtet beruhigt Baldrian, das liegt an seinen sekundären Wirkstoffen, er ist also eine Beruhigungs­hilfe, nicht direkt ein Schlafmittel. Eingesetzt wurde und wird er aber für eine Vielzahl von Indikationen, zum Beispiel ist neben Schlaflosigkeit auch Müdigkeit eine Indikation. Wer nicht einschlafen kann, ist halt auch müde, vor allem, wenn diese Einschlafschwierigkeiten lange anhalten und man sich eben doch zwingt, nach Plan aufzustehen. Die Frage ist: Warum kann man nicht einschlafen? Weil der Geist wandert, man überlegt sich noch dieses und jenes und kann nicht abstellen. Diesen Geist muss man beruhigen, und die West-TCM, die Phytotherapie mit westlichen Kräutern, hat das Mittel dazu im Baldrian gefunden: Er beruhigt, so die TCM, das sogenannte Shen, also den Geist. Dies macht er nicht nur nachts, sondern auch tags, und so kann man sich super konzentrieren und ist richtig munter. Dazu kommt, dass man wieder besser schläft, und so kommt man in einen sich selbst verstärkenden Zirkel. Es gibt übrigens auch Therapeuten, die die Einnahme von Baldrian am Mittag empfehlen. Baldrian beruhigt den Geist, fokussiert ihn, das ist seine Kraft.

Ist es bei vielen Pflanzen so, dass sie auch sozusagen eine gegenteilige Wirkung haben?

Beim Baldrian handelt sich ja nur auf den ersten Blick um eine gegenteilige Wirkung. Man denkt, er wäre ein Schlafmittel, doch ist er ein Beruhigungsmittel. Der Schlaf kommt, weil der Geist nicht mehr hin und her getrieben wird. Und munter ist man aus demselben Grund. Plus man schläft eben besser. Eine gegenteilige Wirkung hat eine Pflanze nicht; wenn man aber die Symptome eines Patienten genau untersucht, sodass man die tieferen Ursachen sieht und wirklich versteht, woher diese Symp­tome kommen, kann es sein, dass man ein Mittel wählt, das auf den ersten Blick nicht zu den Symptomen passt. Aber es passt zu den Ursachen.

Greifen Sie immer erst zu Kräutern, wenn Sie etwas plagt?

Ja, denn Kräuter haben eine enorme Kraft. Ich selber aber achte mich schon durch meine Ernährung, durch das, was ich täglich zubereite und esse. Da setze ich schon Kräuter ein, natürlich nach Geschmack, aber auch nach ihren Wirkungen. Dasselbe gilt für Nahrungsmittel.

Gibt es auch Heilkräutchen mit gefährlicher Wirkung?

Ja! Gewisse Heilkräuter haben Nebenwirkungen, sie können zum Beispiel zu Übelkeit führen. Oder sogar Wehen auslösen, und so sind gewisse Kräuter für Schwangere nicht geeignet. Seien Sie als Laie deshalb vorsichtig. Nutzen Sie Küchenkräuter, grosszügig, sie enthalten viele wertvolle Stoffe, aber bei Tinkturen, vielleicht sogar bei Tees, wenn Sie eine bestimmte Teekur machen möchten, sprechen Sie sich wirklich am besten mit einem TCM-Therapeuten oder Naturheilpraktiker ab.

Soll man Kräuter als Laie überhaupt anwenden?

Klar, in der Küche zum Beispiel. Im Frühling ein Salat aus jungen Löwenzahnblättern. Im Winter mit Zimt zu würzen und sich ab und zu einen Ingwertee zu machen, ist auch zu empfehlen. Wer aber bereits eine hitzige Person ist und dann den ganzen Winter hindurch dreimal täglich noch Ingwertee trinkt, wird Probleme bekommen. Es ist wirklich gut, mit einer TCM-Therapeutin zu sprechen, sie kann einem ganz individuelle Essens- und Kräuterempfehlungen geben.

Spielt es eine Rolle, in welcher Form man Heilpflanzen zu sich nimmt? Ob als Tee, Tropfen, Tinktur, Dragee oder roh?

Selber arbeite ich vor allem mit Tink­turen. Auch mit Tees, denn sie sind oft sehr angenehm und wirken ebenfalls. Tinkturen und Tropfen sind Alkohol­auszüge von Pflanzen, sie enthalten deshalb sehr viele Wirkstoffe. Tinkturen sind sehr mächtig, als TCM-Therapeutin stelle ich sie meistens in Kombination mit mehreren Pflanzen her, individuell auf die Beschwerden einer Person zugeschnitten. Das ist der für mich entscheidende Vorteil von Tinkturen. Roh, wie besagter Löwenzahn als Salat oder auch junge Birkenblätter, macht das unterstützend Sinn.

Welche sind Ihre Lieblingspflanzen?

Ganz klar die Pfingstrose. Sie hat nicht nur Heilkraft, sie ist auch wunderschön. Auch Chili passt mir, da denke ich aber eher an andere: Seid nicht so gehemmt, legt los! Oder Rosmarin, damit da Leidenschaft hineinkommt in das, was man tut.

Was müsste man jetzt im Winter alles im Haus haben?

Alle Kräuter, die man auch zum Guezlibacken braucht: Sternanis, zum Beispiel, und Zimt. Und wenn man viel friert oder kalte Hände hat, soll man Ingwer vor­rätig haben und sich ab und zu einen Tee machen. Vielleicht schon als Erstes am Morgen.

Kann man mit Naturmedizin fast alles heilen?

Vieles. Es scheint sogar Heilpflanzen mit antibiotischer Wirkung zu geben. Was jedoch die Schulmedizin leistet, ist enorm. Mir scheint, der Dialog müsste da noch besser werden. Die Schulmedizin hat Apparate und hochdifferenzierte Medikamente, die sehr gut wirken. Wir können erstens auf einer anderen Ebene mit Menschen kommunizieren, zum Beispiel mit einer Shiatsu-Massage. Und zweitens können wir die Nebenwirkungen abschwächen und sogar die Wirkungen der schulmedizinischen Medikamente verstärken.

Spielen an Ihrer Heilpraktikerschule Kräuter eine grosse Rolle?

Oh ja, wir haben da viel geforscht und zum Beispiel das «Praxisbuch Westliche Kräuter und Chinesische Medizin» herausgegeben. Da werden unsere westlichen Kräuter, also die, die bei uns sozusagen am Wegesrand wachsen, aus TCM-Sicht betrachtet. Und mittlerweile bieten wir an der Schule neben dieser sogenannten Phytotherapie West-TCM auch europäische Kräuterkunde und chinesische Arzneitherapie an. Und auch in den Ayurveda-Ausbildungen spielen Kräuter eine wesentliche Rolle.


Buch-Tipp: Ulrike von Blarer: «Baldrian macht munter». HPS Verlag,19 Franken.

Buch-Tipp: Ulrike von Blarer: «Baldrian macht munter». HPS Verlag,19 Franken.