Kaufsucht kann therapiert werden

Für manche Menschen bedeutet Shoppen Glückseligkeit. Da ein Schnäppchen mit 40 Prozent Rabatt, dort das modisch angesagte Frühlingskleid, hier die lang ersehnten Designer-Turnschuhe. Und für das Traumauto gibt es momentan sehr vorteil­hafte Leasing-­Konditionen. Also sofort zugreifen?

Die Lust, sich ständig was Neues zu gönnen, ist bei manchen Menschen übermässig gross. Eine Befragung der Hochschule für Sozialarbeit Bern und des GFS-­Forschungsinstituts Zürich hat ergeben, dass 33 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Tendenz zu unkontrolliertem Kaufverhalten haben. Schätzungs­weise 5 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer leiden gar an Kaufsucht. Betroffene verspüren den unwiderstehlichen Drang, sich Dinge anzuschaffen, die sie gar nicht wirklich brauchen. Und geraten dabei zunehmend in die Schuldenfalle.

Die GlücksPost hat bei Marcel Heizmann, Leiter Fachteam Suchtberatung der Abteilung Sucht des Gesundheitsdepartements Basel-­Stadt, nachgefragt, was dahintersteckt.

 

GlücksPost: Was veranlasst manche Menschen, übermässig zu shoppen?

Marcel Heizmann: Das angenehme Gefühl, sich etwas Schönes zu kaufen oder sich durch einen Frustkauf von einem Problem abzulenken, kennen die meisten von uns. Bei Menschen mit einer Kaufsucht hat eine Automatisierung dieser Strategie stattgefunden. Durch den exzessiven Erwerb von Konsumgütern wird versucht, Gefühle wie Unzufriedenheit oder Einsamkeit zu vermeiden und dafür Freude und Wohlbefinden zu erlangen. Bei Menschen mit einer Kaufsucht ist dieser Effekt jeweils nur von kurzer Dauer.

Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders anfällig für unkontrollierte Einkäufe? Weshalb?

Kaufsucht kann alle Altersgruppen, Einkommens- und Bildungsschichten treffen. In vielen Untersuchungen werden eher Frauen mit Kaufsucht in Verbindung gebracht. Das kann daran liegen, dass Frauen ihr eigenes Kaufverhalten kritischer bewerten und sich eher Unterstützung holen. Neuere Untersuchungen zeigen aber, dass auch viele Männer betroffen sind.

Gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen, was das zwanghafte Einkaufen betrifft?

Männer tätigen ihre Einkäufe vorwiegend über Onlineplattformen. Frauen schätzen eher die Kauf­umgebung eines Warenhauses und die beim Kauf erhaltene Zuwendung durch das Verkaufspersonal. Bezüglich der Art der Produkte sind mir keine wissenschaftlichen Daten bekannt. Es scheinen jedoch die typischen Geschlechtermuster zu spielen: Frauen kaufen häufiger Kleidung, Kosmetikartikel und Schmuck. Männer tendieren nebst Kleidung zu Unterhaltungselektronik, Sport- und Spielgeräten.

Ab wann wird Einkaufen krankhaft? Gibt es dafür typische Symptome?

Bei einer Kaufsucht sind viele Gemeinsamkeiten mit anderen Abhängigkeitserkrankungen zu beobachten: unwiderstehliches Kaufverlangen; extreme gedank­liche Beschäftigung mit Kaufen; Reizbarkeit oder Unruhe, wenn man nicht einkaufen kann; Stei­gerung der Intensität des Kaufverhaltens, d. h. Aufwendung von mehr Zeit und Geld; Vernachläs­sigung anderer Pflichten und In­teressen; Schuldgefühle und Verheimlichung des Ausmasses der Käufe vor Familie und Freunden.

Lässt sich Kaufsucht therapieren? Wenn ja, wie?

Ja, spezialisierte Beratungs- und Therapiestellen bieten konkrete Hilfen an. Gemeinsam mit dem oder der ­Betroffenen wird nach den Aus­lösern des Kaufverhaltens gesucht und die Verbesserung der Selbststeuerung trainiert. Die Betroffenen lernen, auf an­dere Weise mit unangenehmen Gefühlen umzugehen und sich auf neue Art Gutes zu tun. Auch bei Schulden oder anderen sozialen Problemen wird Unterstützung angeboten. Einen wert­vollen Beitrag leisten auch Selbsthilfegruppen. Weitere Infos dazu gibt es unter www.selbsthilfeschweiz.ch

«Kaufsucht kann jeden treffen»

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine internationale Klassifikation aller bekannten Krankheiten und Gesundheitsprobleme verfasst – die sogenannte «International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems», kurz ICD genannt. Mit dem ICD-Code kann jede Erkrankung weltweit einheitlich zugeordnet werden.
Kaufsucht (Code ICD-10 F 63.9) zählt zu den abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle. In dieser Kategorie F 63 werden sich wiederholende, un­vernünftige Verhaltensstörungen aufgelistet, die der betroffenen Person selbst oder anderen Menschen schaden. Sei es durch zwanghaftes Spielen, krankhafte Brandstiftung, Kleptomanie oder eben impulsives Einkaufen.