Ess-Mythen auf dem Prüfstand

Gutgemeinte Ratschläge zu gesunder Ernährung gibt es wie Sand am Meer. ­Fragt sich nur: Was ist ­erwiesen, was ist Panikmache?

Sie zählt zu den umstrittensten Wissenschaftszweigen – die Lehre der richtigen Ernährung. Was heute als gesund gilt, ist morgen bereits wieder umstritten. «Kein Wunder, dass viele Menschen den Überblick verlieren und am Ende gar nicht mehr wissen, was sie essen dürfen und was nicht», bringt es Dr. Martijn Katan auf den Punkt. Der holländische Professor für Ernährung hat deshalb 69 weitverbreitete Mythen auf ihren wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt untersucht. Nachfolgend sechs Ernährungsmythen und was er dazu meint.

Mythos 1:
Wir sollten essen wie die Urmenschen

Die sogenannte Steinzeit-Ernährung (Paläo-Diät) geht davon aus, dass unsere Vorfahren Fleisch von wilden Tieren, Beeren, Nüsse und Pflanzen assen. Und dass unsere Gene nach wie vor so funktionieren und dass es ungesund ist, Getreide zu essen.

Das meint Prof. Katan:

Wir werden wahrscheinlich nie genau wissen, wie sich unsere Vorfahren ernährt haben.

Viel Fleisch erhöht womöglich das Risiko für Darmkrebs.

Unsere Gene haben sich an das Essen von Brot und sonstigen Getreideprodukten mit vielen Kohlenhydraten angepasst.

Mythos 2:
Gesunde Ernährung ist teuer

Als gesund gilt, möglichst viele Lebensmittel aus regionalem (Bio-)Anbau zu essen. Um sich diese zu leisten, muss man tief ins Portemonnaie greifen.

Das meint Dr. Katan:

Billiges Gemüse aus der Dose und Tiefkühlgemüse sind genauso gesund wie frisches. Einziger Abstrich bei Dosen-Gemüse ist der Gehalt an Vitamin C.

Wasser aus dem Wasserhahn ist supergesund und kostet fast nichts.

Statt Bio-Filet: Kostengünstige Fleisch-Innereien wie Leber oder Nieren sind Schatzkammern an Vitaminen und Mineralien.

Mythos 3:
Nicht das Fett macht dick, sondern die Kohlenhydrate

Als Übergewicht zur Volkskrankheit avancierte, machten sich Wissenschaftler auf die Suche nach den dafür verantwortlichen Stoffen. Vor 30 Jahren wurden Fette zum Sündenbock gestempelt, heute sind es die Kohlenhydrate – also Brot, Teigwaren, Reis und Kartoffeln.

Das meint Dr. Katan:

Ob mehr Eiweiss, weniger Kohlenhydrate oder weniger Fett: Es spielt keine Rolle, welche Diät man befolgt. Wer mit Ausdauer das gewählte Programm verfolgt, verliert in den ersten Monaten zwei bis zwölf Kilo.

Menschen, die eine Diät machen, essen weniger. Das liegt daran, dass die Diät in der Regel weniger schmackhaft und weniger bequem ist.

Abnehmen hat nichts damit zu tun, welche Inhaltsstoffe in einer Diät enthalten sind. Auch Kalorien sagen wenig aus. Was zum Dickwerden anregt, sind bearbeitete Fix-und-fertig-Nahrungsmittel, die mit einer unwiderstehlichen Kombination von Geschmack, Aussehen, Gefühl im Mund, Preis, Haltbarkeit und Verpackung zum Überessen locken.

Mythos 4:
«Am gesündesten ist viel frisches Obst»

Mindestens zwei Portionen Früchte am Tag, lautet die Empfehlung der Experten.

Das meint Dr. Katan:

Die drei wichtigen Nährstoffe, von denen viele Menschen zu wenig zu sich nehmen, sind in keiner Obstsorte enthalten: Vitamin D, Vitamin B12 und Jod.

Früchte enthalten viel Zucker. Eine Banane entspricht etwa vier Stück Würfelzucker, ein Apfel und eine Orange je drei Stück. Fruchtsaft ist eine flüssige Süssigkeit und enthält genauso viele Kalorien wie Softdrinks.

Obst ist dann gesund, wenn es als Zwischenmahlzeit oder Nachtisch den kalorienreichen Schokoriegel ersetzt. 

Mythos 5:
«Man sollte mindestens acht Gläser Wasser pro Tag trinken»

Ernährungsexperten raten, täglich mindestens zwei Liter Wasser zu trinken.

Das meint Dr. Katan:

Jeder Erwachsene verliert durchschnittlich einen halben Liter Flüssigkeit pro Tag über die Haut. Bei körperlicher Anstrengung oder Hitze wird das wesentlich mehr. Mit der Luft, die wir ausatmen, und mit unserem Stuhlgang verlieren wir nochmals einen halben Liter Wasser am Tag. Hinzu kommt mindestens ein halber Liter Urin täglich.

Insgesamt sind das also mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag, die wir ersetzen müssen. Mit unserer Nahrung nehmen wir täglich ungefähr 0,8 Liter auf. Bei der Verbrennung der Nahrung in unserem Körper 0,3 Liter Wasser. Damit wären wir also schon bei 1,1 Litern Wasser, was heisst, dass es eigentlich ausreichen würde, 0,4 Liter am Tag zu trinken.

Manche Menschen brauchen mehr Flüssigkeit als 0,4 Liter. Dies gilt auch, wenn wir uns körperlich anstrengen, es warm oder sehr kalt ist, wir uns in der Höhe aufhalten oder Fieber haben. 1 bis 2 Liter sind somit ausreichend.

Mythos 6:
«Produkte mit E-Nummern sind ungesund»

Befinden sich in einem Nahrungsmittel Zusatzstoffe mit E-Nummern, ist es sicher ungesund.

Das meint Dr. Katan:

Eine E-Nummer bedeutet, dass eine oder mehrere Substanzen zugeführt wurden, die von der EU geprüft wurden.

Nicht jede E-Nummer bedeutet Gefahr. Der Naturfarbstoff Lycopin (E160d) besteht aus Tomaten, Essigsäure (E260) wirkt keimtötend oder Tocopherol (E306), auch bekannt als Vitamin E, stammt aus ölhaltigen Pflanzen.

Das Buch zum Thema

Das Buch «Warum Brot uns nicht schadet und Mikrowellen keine Vitamine zerstören» von Martijn Katan (Riva-Verlag, Fr. 34.90, auch als E-Book erhältlich) ist höchst spannend zu lesen. Darin werden 69 Ernährungsmythen untersucht, wie etwa «Durchs Kochen gehen Nährstoffe verloren», «Milch führt zu vermehrter Schleimbildung», «Kokosöl ist gesund», «Rotwein ist gesund fürs Herz» oder «Natürliche Vitamine sind besser als synthetische».