Die Heilkraft der Stille

Wir realisieren es kaum, doch Lärm zählt zu den Umwelteinflüssen, die unsere Gesundheit besonders strapazieren. Bewusste Stille hilft dem Organismus, sich zu erholen und Stresshormone abzubauen.

Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal wahre Stille erlebt? Ohne SMS-Piepsen, Radiogedudel und Verkehrslärm? Auch wenn wir die akustische Dauerberieselung häufig nicht mehr bewusst wahr­nehmen, ändert es nichts daran, dass sie unseren Körper und unsere Seele laufend in Stress ver­setzen. Und die Gesundheit be­einträchtigen.

Gemäss der Weltgesundheits­organisation WHO rangiert Lärm in Europa auf Platz zwei der gesundheitsschädlichsten Umwelteinflüsse – direkt nach Feinstaub und Luftverschmutzung. In ihrer Studie aus dem Jahr 2011 kam die WHO zum Schluss, dass ständiger Lärm Herz-Kreislauf-­Erkrankungen, Herzinfarkte, Schlafstörungen und Stress fördert. Jede dritte Person fühle sich tagsüber durch Lärm gestresst, jede fünfte leide wegen Verkehrslärm (Strasse, Eisenbahn, Flugzeuge) unter Schlafstörungen.

Diese Werte lassen sich selbstverständlich nicht verallgemeinern, denn die Lärmbelastung hängt massgebend auch davon ab, wo man lebt und arbeitet – in einer Grossstadt, nahe einer Autobahn oder Flugschneise oder in einem abgelegenen Dorf. Fest steht: Andauernder Lärm versetzt uns in Alarm­bereitschaft. Um davon herunterzufahren und zur Ruhe zu kommen, braucht es stille Pausen, um Kraft zu tanken, da wir unsere Ohren im Gegensatz zu den Augen nicht einfach schliessen können.

Was passiert bei Lärm?

Lärm ist unerwünschter Schall. Bei jedem störenden Geräusch schüttet der Körper Stresshor­mone wie Adrenalin und Cortisol aus. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt und die Atem­frequenz nimmt zu.

Neben Stress hat Lärm gemäss dem Bundesamt für Umwelt weitere direkte Auswirkungen auf die Gesundheit, wie

  • Nervosität, Angespanntheit
  • Müdigkeit, Niedergeschlagenheit
  • Aggressivität
  • Herz-Kreislauf-Krankheiten
  • Störung der Konzentration
  • Beeinträchtigung des Leistungsvermögens
  • Vermindertes Leseverständnis sowie Langzeitgedächtnis und Motivation bei Schulkindern
  • Erschwerte Kommunikation
  • Soziale Isolierung

Was kann ich tun?

Je nach Lebenssituation lassen sich Lärmquellen nicht einfach ausblenden. Erste Massnahme ist deshalb, alle unnötigen Geräusche auszuschalten. Dazu zählen sicher alle Klingel- und anderen Töne, die auf neue E-Mails, SMS, Whatsapp- oder Twitter-Mel­dungen aufmerksam machen: Schätzungsweise 99 Prozent der Nachrichten, die wir erhalten, sind unwichtig. Das heisst, sie brauchen keine sofor­tige Antwort. Und somit auch keinen Alarmton, der häufig auch die Menschen rundum nervt.

Um nachts erholsam zu schlafen, gilt es, sämtliche unnötigen Lärmquellen fernzuhalten. Steht man nicht auf einer Liste für Notfalldienste, sollten Telefone und Handys im Schlafzimmer tabu sein, um nicht unnötig von schlaflosen oder ausländischen Freunden aus anderen Zeitzonen geweckt zu werden.

Komplizierter wird es beim Verkehrslärm: Wer an einer Strasse lebt, die auch nachts stark be­fahren ist, kann höchstens das Fenster nachts geschlossen halten. Oder sein Schlafzimmer, falls möglich, auf die ruhigere Wohnungsseite verlegen.

Hilfreich für mehr Stille beim Schlafen sind zudem Ohrstöpsel: Sie dämmen einen Grossteil des Lärms ab – auch das eventuell stressende Schnarchen des Partners bzw. der Partnerin.

Bewusst Stille suchen

Um die innere Ruhe zu stärken und den unausweichlichen Alltagslärm des modernen Lebens auszugleichen, lohnt es sich, bewusst stille Pausen einzulegen. Wie etwa mit:

  • Entspannungsmethoden wie Meditation, Yoga oder Tai-Chi, die helfen, das innere Gleichgewicht zu stärken. Regelmässiges Meditieren trägt dazu bei, das Stresshormon Cortisol zu reduzieren, so Forscher der Universität Harvard.
  • Ab und zu ein Wellness-Wochenende in einem liebevoll geführten Hotel mit Sauna, Massagen, Bewegung und gemüse­reicher Kost fördert das Wohl­befinden und aktiviert die Selbst­­heilungskräfte.
  • Aufsuchen von Kraftorten: Auch Menschen, die auf ihr Budget achten müssen, finden hierzulande stille Orte, die guttun. Wanderungen, die das Ruhe-Konto auffüllen, findet man beispielsweise im Buch «Auf stillen Wegen an starke Orte» des Schweizer Autors und Fotografen Heinz Staffelbach (AT-Verlag, Fr. 49.90).
  • Schlafplatz inmitten der Stille: Denke ich an erholsame Ruhe, zieht es mich beispielsweise immer wieder auf die Alp Richisau im hinteren Glarner Klöntal. Am Ende der Postauto-Linie befindet sich ein Gasthaus, das fernab jeglicher Zivilisation liegt. Nirgendwo schlafe ich besser und tiefer als hier! Die ehemalige Molkenkuranstalt zog bereits Mitte des 19. Jahrhunderts Gäste aus der ganzen Welt an, die hier Ruhe suchten.­