Diabetes: Leben mit Nadelstichen

Völlig sorglos in den Tag leben ist nicht möglich, wenn man Diabetes hat. Selbstbestimmt und recht unabhängig sein schon. Die Baslerin ­Renate Kilchmann kontrolliert ihre Werte selber – und fährt gut damit.
  
Eine Dame im Unruhestand – für Renate Kilchmann (77) trifft diese Beschreibung voll zu. Die quirlige Berlinerin, die das Leben schon vor über 50 Jahren nach Basel verschlagen hat, ist ständig unterwegs. Reisen, ihren Töchtern zur Hand gehen, Treffen mit Freundinnen, Einkaufen – und häufig auch Ferienreisen, am liebsten nach Ägypten, wo sie sich seit Jahren wohlfühlt. Kein Mensch würde vermuten, dass die unternehmungslustige Rentnerin an Diabetes leidet – sie hat alles im Griff.
 
Ganz immer war das nicht so. «Vor etwa zehn Jahren wurde ich jeweils nachts wach und merkte, dass ich unterzuckert war», erinnert sie sich. «Ich trank dann ein Glas Milch mit etwas Honig, weil das bei mir besser wirkt als Traubenzucker. Und ich ass etwas Zwieback dazu.» Trotzdem keine schöne Situation: «Mir war dann etwas komisch, einmal bin ich 
sogar hingefallen.»
 
Inzwischen hat die muntere Rentnerin die Lösung aber längst gefunden: Sie misst abends ihren Blutzucker, und wenn er bereits unter 7 liegt, verzichtet sie auf ihre Medikamente für die Nacht, damit der Zuckerwert nicht noch weiter sinkt. Mit ihrem Arzt hat sie dieses Vorgehen abgesprochen. Seither schläft sie durch in der Nacht: «In letzter Zeit war ich nie mehr unterzuckert.» Morgens schluckt sie dann ihre Tablette.
 
Für Diabetiker wie Renate Kilchmann ist eine regelmässige Blutzucker-Selbstkontrolle wichtig. Dadurch können Komplikationen frühzeitig erkannt und sofort behandelt werden. Obwohl sie weniger zum Arzt gehen muss als früher, hat sie ihre Werte voll unter Kontrolle – und der Arzt auch. «Ich muss mit meinem neuen Messgerät nichts mehr von Hand aufschreiben», erklärt sie. «Ich muss nur die Kassette aufbewahren, dann kann der Arzt meine Werte zurückverfolgen. Alles, was ich brauche, steckt in dem Kästchen drin, es enthält 50 Kontrollstreifen.»
 
«Für mich ist die Überprüfung der Werte alle drei Monate einfacher», erklärt auch Frau Kilchmanns Arzt, Dr. med. Levente Dudás (Bild). «Früher musste man Blut abnehmen und ins ­Labor schicken, heute genügen die Aufzeichnungen. Sie können auch jene Patienten entlarven, die nur zwei Tage vor der ärztlichen Kontrolle aufpassen und dann wunderbare Nüchternwerte haben, aber es geht ihnen trotzdem nicht gut. Jene, die denken, sie halten alle Regeln nur mir zuliebe ein. Die Patienten müssen eine 
gewisse Eigenverantwortung übernehmen.»
 
Weniger Folgekrankheiten
 
Wer seinen Blutzucker regelmässig kontrolliert, kann seinen Diabetes besser einschätzen lernen und weiss selber, wie zum Beispiel Mahlzeiten, Bewegung und Medikamente den Blutzucker beeinflussen. Man lernt die Anzeichen einer Unterzuckerung besser zu erkennen, kann auf Veränderungen des Blutzuckerspiegels ­reagieren und grosse Blutzuckerschwankungen vermeiden. «Was ich am Anfang meiner Karriere oft sah – Niereninsuffizienz und Diabetische Retinopathie, die sich nach 10 oder 20 Jahre einstellen – hat deutlich abgenommen. Dies liegt auch daran, dass die Medikamente besser geworden sind und man Diabetes besser kennt, weil er häufiger geworden ist», so Dr. ­Dudás. «Die Betroffenen geben sich heute auch Tipps untereinander, und es gibt eine gute Diabetesberatung. Und die Patienten nehmen das Ganze auch ernster und genauer.»
 
Für die Patienten sind die neuen Geräte einfach zu handhaben. «Das Hauptproblem liegt darin, dass man sich selber stechen muss, das braucht Überwindung. Aber heute gibt es gute Stechhilfen, bei denen die Lanzette selber rausspringt, und die Nadeln sind sehr, sehr fein.»
 
Das Stechen macht Frau Kilchmann keine Probleme: «Das sind winzige Einstiche, die merkt man kaum. Früher ging das tiefer, jetzt sind die Finger nicht arg zer­stochen, obwohl ich immer die gleichen zwei steche.»
 
Bei Renate Kilchmann ist das Messgerät immer dabei, wenn sie weiss, dass sie abends nicht heimkommt – und natürlich auch in den Ferien. «Es ist alles sauber verpackt, man hat auch unterwegs kein Hygieneproblem», erklärt sie. «Das Gerät und die Medikamente sind immer im Handgepäck – schliesslich bin ich auf beides angewiesen.»