Der diskrete Helfer

Im Volksmund redet man von einem künstlichen Darmausgang, Eingeweihte sprechen kurz von einem Stoma. Wie lebt es sich damit? Oft besser als viele Menschen denken.

Wenn Dr. Annelies Schnider, leitende Viszeralchirurgin am Stadt­spital Triemli in Zürich, einer Patientin oder einem Patienten erklären muss, dass sie oder er sich wohl auf einen «künstlichen Ausgang» einstellen sollte, so stösst sie meistens auf Schrecken und grosse Vorbehalte. Seine Darmausscheidungen über einen Beutel entsorgen müssen, statt einfach ins WC plumpsen zu lassen – nein danke!

Dennoch kommen in der Schweiz jährlich etwa 700 neue Darmpatienten nicht um ein Stoma herum. Bei knapp der Hälfte von ihnen ist die Lösung vorübergehend, die anderen müssen fortan mit ihrem Säckchen leben. Meistens sind es Menschen über 50, aber es gibt auch immer wieder sehr junge Leute, die, zum Beispiel nach einer Darmkrebserkrankung oder nach einem Unfall, ein Stoma bekommen.

Die Gründe für den «künstlichen Ausgang» können vielfältig sein:

  • Als Ersatz, weil der Schliessmuskel nicht mehr funktioniert (vollständige Stuhlinkontinenz). Grund dafür kann ein Tumor sein, ein Infekt, ein Trauma (zum Beispiel nach dem Gebären), eine Beckenbodeninsuffizienz oder eine neurologische Erkrankung.
  • Zur Entlastung, wenn zum Beispiel eine Naht geschont werden muss, wenn ein Infekt oder ein Darmverschluss vorliegt.

«Oft wird das Stoma einfach angelegt, damit ein operierter Mastdarm gut ausheilen kann, nachher kann man es wieder entfernen», erklärt die Ärztin. Aber auch dann wird sorgfältig abgeklärt, wo es zu liegen kommen soll, denn es soll so wenig wie möglich stören, weder am Hosenbund kneifen noch in all­fälligen Speckfalten Probleme machen, und man soll auch damit sitzen können und einen guten Zugang dazu haben, es also problemlos «bedienen» können. Das gilt natürlich erst recht, wenn das Stoma für lange Zeit gedacht ist – oder für immer.

Wenn man Dr. Schnider zuhört, so könnte man sich mit einem künstlichen Ausgang direkt anfreunden. Natürlich ist ein ge­sunder, normal funktionierender Darm das Allerbeste – in vielen Fällen kann das Stoma aber durchaus Vorteile bringen. Denn damit werden zum Beispiel Patienten, die sich kaum mehr unter die Leute getrauten, wieder gesellschaftsfähig. Anders als ein undichter Darmausgang riecht ein Stoma nämlich nicht. «Und Sie dürfen alles machen damit», sagt Schnider. Man kann sogar in die Sauna mit so einem Beutel. Und Sex haben. «Man braucht halt einen guten Partner – aber den braucht man sonst ja auch», so die Chirurgin.

Und dann zeigt sie ein Foto des englischen Bodybuilders Blake Beckford: ein Bild von einem Mann mit beeindruckenden Muskelpaketen – und einem Stoma­beutel neben dem Bauchnabel. Die Muskelberge hat sich der heutige Personaltrainer grösstenteils als Stomaträger antrainiert, als er nach einer schweren Darmerkrankung langsam wieder auf die Beine kam. Auch Ski-Olympiasieger und Weltmeister Aksel Lund Svindal trug nach einer schweren Verletzung vorübergehend ein Stoma.

So alltäglich wie eine Brille
Ganz so wie vorher ist der Alltag mit einem künstlichen Ausgang trotz allem nicht. Das Auswechseln des Beutels will gelernt sein – nicht alle schaffen das auf Anhieb selber. Dann kann man sich zum Beispiel von der Spitex helfen lassen. «Ziel ist aber, dass man es selber machen kann, nur so ist man wirklich unabhängig», erklärt dazu Carla Civelli, Stoma- und Kontinenztherapeutin des Stoma- und Kontinenz-Zentrums Zürich, einer Fachstelle der Spitex Zürich Limmat AG. Ob ein Patient oder eine Patientin dies schafft, hängt auch davon ab, in welcher Phase sie sich befindet, wenn sie nach Hause entlassen wird – und ob sie sich auf ein Stoma «für immer» einstellen muss, oder ob die Hilfe nur für eine vorübergehende Entlastung vorgesehen ist.

Weh tut ein Stoma nicht, es sei denn die Haut drum herum ist entzündet. Auch beim Essen gibt es kaum Einschränkung. «Bei einem normalen Dickdarm-Stoma kann man alles essen und trinken», erklärt Dr. Schnider. «Bei einem Dünndarmstoma muss man auf die Ernährung achten, damit der Stuhl nicht allzu dünn wird.» Wechseln muss man den Beutel ein- bis zweimal im Tag – so wie man halt auch auf die Toilette ­gehen würde. Und das ist auch unterwegs möglich. «Viele öffent­liche Toiletten haben entsprechende Stellen eingerichtet», erklärt Stomaberaterin Civelli. «Es gibt sogar Apps, die beim Finden helfen.» Die beiden Fachfrauen sind sich einig, wie man ein Stoma betrach­ten soll: «Eine Stoma­versorgung ist wie eine Brille: Man braucht sie als Hilfsmittel, aber sie soll nicht im Mittelpunkt stehen!»