Das lange Leiden nach der Infektion

Von einer Covid-­Infektion genesen heisst nicht unbedingt, wieder gesund zu sein. Weltweit leiden Millionen von Betroffenen an einschränkenden Spätfolgen. Was steckt dahinter? Was hilft?

Kein Virus hat in den letzten Jahren so viel Schaden angerichtet wie Sars-Cov-2. Rätselhaft bzw. noch wenig erforscht sind die vielfältigen Langzeitfolgen, die unter «Long Covid» oder «Post Covid» zusammengefasst werden. Betroffen sind Patientinnen und Patienten, welche die Corona-Infektion überstanden haben, dennoch aber nicht wieder richtig gesund werden. Zu den häufigsten Symptomen zählen etwa starke Erschöpfung (Fatigue), Atemprobleme, Kurzatmigkeit, Geschmacksverlust, Herzrasen, Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme, Gelenk- und Muskelschmerzen, aber auch Angstzustän­de oder Depression.

Drei Arten von Patienten

Für Dr. med. Jördis Frommhold, Chefärztin der  -Klinik im deutschen Heiligendamm, steht fest: Ein normaler Alltag ist für Betroffene längere Zeit nicht mehr möglich. Die Lungenärztin gilt als führende Expertin für Long Covid und hat dieser Tage ein Buch veröffentlicht («Long Covid. Die neue Volkskrankheit»). Sie erkannte früh, dass eine überstandene Covid-Infektion gesundheitlich schädigende Folgen haben kann. Sie teilt Menschen, die eine Covid-­Infektion durchgemacht haben, in drei Gruppen ein:

  •  Echt Genesene: Die Erkrankung war mild und unkompliziert. Es gibt keine Post-Covid-Symptome.
  •  Spät Genesene (Post Covid): Ihr Akutzustand war schwer bis lebensbedrohlich. Sie leiden danach an Leistungsminderung, Atem­problemen, neurologischen Einschränken und psychosomatischen Belastungen. Sie brauchen lange, um sich zu erholen.
  •  Krank Genesene (Long Covid): Nach der moderaten Covid-Akutphase fühlen sie sich vorerst besser, wenn auch noch nicht leistungsstark und oft noch erschöpft. Nach ein bis drei Monaten können neue Symptome auftreten. «Bisher ist die Ursache dieser Beschwerden noch nicht eindeutig durch Studien geklärt. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass es sich zum Beispiel um eine Hartnäckigkeit des Virus, aber auch um eine Autoimmunerkrankung handeln könnte», so die Expertin.

Wer ist anfällig?

«Welcher Mensch prädisponiert ist, an Long Covid zu erkranken, wissen wir aktuell einfach nicht», so die Expertin. «Es gibt keine nachweislichen Risikofaktoren. Aus Studien und auch aus dem eigenen klinischen Empfinden heraus wissen wir aber, dass häufig jüngere Patienten im Alter zwischen 20 bis 50 Jahren und mehr Frauen als Männer betroffen sind.» Diese Long-Covid-­Patientinnen und -Patienten haben zumeist keine Vorerkrankungen, waren sportlich aktiv und pflegten einen gesunden Lebensstil. «Viele verzweifeln, denken, sie bilden sich ihre Beschwerden nur ein», so Dr. Frommhold.

Was hilft heilen?

Entscheidend ist, dass Betroffene therapeutische Zuwendung erhalten. Jördis Frommhold: «Für Patienten, die länger auf der Intensivstation waren und dem Tod gerade noch entronnen sind, ist die Wiederherstellung der Selbständigkeit das wichtigste Ziel.» Die Post-­Co­vid-­Patientinnen und -Patienten müssen viele ­Körperfunktionen, die uns selbstverständlich vorkommen – wie atmen, schlucken oder aufrecht sitzen – wieder komplett neu erlernen. Dies braucht viel Geduld und Empathie von der Familie und nahe stehenden Freunden.

Weniger klar ist, was den sogenannt «krank Genesenen» wirklich hilft. Die Medizinwelt kann das Long-Covid-Krankheitsbild noch nicht vollständig durchschauen. «Anhand von Versuch und Irrtum versuchen wir aktuell, die besten Therapiemöglichkeiten herauszukristallisieren, wohlwissend, dass diese Ansätze noch nicht abschliessend in Studien bewiesen sind», so Dr. Frommhold.

Bei erschöpfender Fatigue steht die Pacing-Methode im Vordergrund. Die Patientinnen und Patienten lernen, schonender mit sich selbst umzugehen und ihre Leistungsgrenzen zu erkennen. Es geht im Alltag darum, Prioritäten zu setzen, insbesondere auch Pausen ein­zuplanen, um sich nicht zu überfordern. Mögliche Heilansätze bieten experimentelle Therapien wie Blutwäsche (Plasmapherese), oder Sauerstofftherapie in einer Druckkammer. Eine Rolle spielen könnten auch ein gesunder Vitamin-D-Spiegel, die Zugabe von Zink sowie eine Ernährung, die für eine gute Darmflora sorgt.

Sich austauschen

Laut Dr. Jördis Frommhold ist auch der Austausch mit anderen Betroffenen wichtig – etwa in einer Selbsthilfegruppe. Und falls möglich in einer Psychotherapie. «Da wir eine Heilung nicht versprechen können, müssen wir zunächst von einer chronischen Erkrankung ausgehen, die unsere Patienten möglicherweise ihr Leben lang begleiten wird. Diese anzunehmen und nicht dagegen zu arbeiten, ist der entscheidende Schritt zu einem gelingenden Leben mit der Krankheit.»

Selbstverständlich hofft sie zutiefst, dass der Forschung irgendwann der Durchbruch gelingt und Long Covid heilbar wird.

Liegt es am ­Vagusnerv? DIe neuesten Studien
gesundheit
bilder: Shutterstock (2), MEDIAN Klinik Heiligendamm
Unterstützung bei Long CovidLong Covid Schweiz. Die Patientenorganisation wurde von Betroffenen gegründet, um andere Betroffene zu unterstützen. Die Website bietet Links zu Long-Covid-­Sprechstunden oder Tipps zur Symptomlinderung: www.longcovidch.info

Plattform Altea Network. Tipps zum besseren Umgang mit den Symptomen, ein Verzeichnis von Sprechstunden und Therapieangeboten oder einen Blog mit Neuigkeiten aus Forschung, Recht und Gesellschaft: www.altea-network.com

Verband Covid Langzeitfolgen. Hier geht es v. a. um die rechtlichen Fragen rund um die Spätfolgen einer Coronainfektion: www.­covid-langzeit­folgen.ch

Um es gleich vorwegzunehmen: Auch wenn Wissenschaftler und Ärztinnen intensiv nach den Ur­sachen für Long Covid forschen – eine klare Antwort, was dahintersteckt, gibt es bisher noch nicht. Die neueste wissenschaftliche These stammt aus Spanien: Forschende des Universitätsspitals in Badalona gehen aufgrund ihrer Untersuchungen davon aus, dass es sich um eine Funktionsstörung des Vagusnervs handeln könnte. Dieser Nerv ist der längste unserer zwölf Hirnnerven und zieht seine Bahn vom Gehirn aus in den Bauchraum und beeinflusst auch Herz, Lungen, Darm und Muskeln. Funktioniert er nicht richtig, kann dies zu Nervenverdickungen, Schluckbeschwerden oder Atembeschwerden führen.Die bisher unveröffentlichte Studie soll im April offiziell an einem europäischen Kongress vorgestellt werden. Bisher ist sie von der Fachwelt also noch nicht gutgeheissen. Experten gehen aber davon aus, dass der Vagusnerv bei ­einigen Long-­Covid-Patientinnen und -Patienten eine Rolle spielen könnte.

Eine andere Entdeckung haben britische Forschende gemacht: Selbst nach einer relativ mild verlaufenen Covid-Infektion schrumpft die graue Substanz. Diese leichte Hirnschädigung könnte eine Erklärung für Konzentrationsschwäche sowie Geruchs- und Geschmacksverlust sein.