Das Hirn braucht Abwechslung

Auch ohne Demenz lässt unser Hirn mit dem Alter nach. Kann man 
es durch Training leistungsfähig erhalten? Ja, sagt der Basler Wissenschaftler Prof. Pasquale Calabrese! Aber es braucht noch etwas mehr.

Der Abbau beginnt schon ab etwa 50. «Dass die Hirnleistung im fortgeschrittenen Alter nachlässt, ist für manche 
Bereiche normal – bis zu gewissen Grenzen», erklärt der Neuropsychologe Prof. Pasquale Calabrese von der Universität Basel. «In 
höherem Alter werden die Reaktionszeiten schlechter, die Wahrnehmungskapazität insgesamt lässt nach.» Die Fähigkeit, grössere Mengen an Informationen zu speichern und vor allem die Fähigkeit, verschiedene Aufgaben parallel zu erledigen, das sogenannte Multitasking, für das eine mentale Flexibilität nötig ist, nehmen ab.»

Das hat damit zu tun, dass die Anteile in unserem Gehirn, die für die Speicherung von Information verantwortlich sind und jene für die Organisation dieser Informationen mit dem Alter an Funktionstüchtigkeit einbüssen. «Es sind die Regionen, die auch bei Erkrankungen wie Demenz als Erste unter­gehen», so Professor Calabrese. Die gute Nachricht: «Andere Funktionen bleiben relativ konstant bis ins hohe Alter, zum Beispiel sprach­liche Fähigkeiten, Assoziationsfähigkeiten. Und es gibt auch Fähigkeiten, die mit den Jahren aufgrund der Erfahrung sogar zunehmen!»

Und warum kommt es zum Abbau in manchen Bereichen? Und lässt sich dieser Prozess aufhalten? «Das hängt sehr stark 
davon ab, wie man mit dem Kopf umgeht, sein Leben lang. Fängt man etwas an mit dieser wunderbaren Maschine, die man im Kopf hat, so funk­tioniert sie länger gut», erklärt der Wissenschaftler. «Da gibt es vier Säulen, auf denen dies alles basiert, es sind sozusagen die Tischbeine, auf denen unser Gehirn steht. Wenn sie gut gepflegt werden, tragen sie unser Gehirn auch bis ins hohe Alter. Aber wenn 
eines von ihnen bröckelt, entsteht ein Ungleichgewicht. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man alle vier Standbeine wirklich pflegt!

Geistige Stimulation: Geistige Tätigkeit ist sehr, sehr wichtig, weil das Gehirn sich auch selber stimulieren kann. Wenn wir ein Buch oder eine Zeitschrift lesen, wird das Gehirn automatisch gezwungen, etwas zu tun; es muss asso­ziieren, es lässt Bilder im Kopf 
entstehen. Deshalb ist Lesen viel stimulierender als Fernsehen, wo man mit fertigen Bildern bedient wird. Alles, was das Gehirn zwingt, nachzudenken, ist grundsätzlich gut. Kreuzworträtsellösen ist gut, bringt aber nicht so viel, weil nur altes Wissen abgefragt wird. Besser ist, wenn man über Zusammenhänge nachdenken muss, dabei werden mehr Nervenzellen angeregt. Sudoku lösen, Schach spielen, ein interessantes Buch lesen …

Soziale Stimulation: Kommuni­kation ist ganz wichtig, wir sind 
soziale Wesen. Auch das Gehirn ist darauf ausgerichtet, es ist immer aktiv, sucht etwas, mit dem es sich beschäftigen kann. Unser Gehirn ist ein Phänomen, das besser arbeitet, wenn es mit anderen zusammen etwas tun kann. Gemeinsam lernt man auch besser. Es gibt Studien die zeigen, dass Menschen, die viel kommunizieren, ihre 
geistige Leistungsfähigkeit damit erhalten. In einem Volkshochschulkurs zum Beispiel kommt beides zusammen: Lernen und Kommunikation.

Ernährung: Sich ausgewogen ernähren, sich Nährstoffe zuführen, die für das Gehirn von Vorteil sind, ist sehr wichtig. Omega-3-Fettsäuren, Vitamin B12, Vitamin D, Flavonoide, Resveratrol. Diese Stoffe sind meistens enthalten in der mediterranen Küche, das ist Nahrung für unsere Nervenzellen: Gemüse, Salate, Fisch, Nüsse, Obst, Beeren. Das Schlimmste für unser Hirn ist Untätigkeit und fettiges Essen, 
es macht die Gefässe steif, die 
Nervenzellen erhalten durch die schlechte Durchblutung weniger Sauerstoff. Wenn man älter wird, braucht man ein gut belüftetes, gut durchblutetes Gehirn!

Körperliche Ertüchtigung: Es gibt einen sehr engen Zusammenhang zwischen körperlicher Ertüchtigung und Gehirnleistung, und der ist im Alter noch wichtiger. Körper­liche Ertüchtigung heisst aber nicht Höchstleistung, sondern die Möglichkeiten ausschöpfen, die 
einem zur Verfügung stehen. Es reicht aus, jeden Tag eine Viertelstunde spazieren zu gehen. Selbst wer im Rollstuhl sitzt oder einen Rollator hat, sollte rausgehen und sich bewegen, weil über den Körper Rückmeldungen an das Gehirn kommen, die es aktivieren.


Geistig stimulieren

Fordern Sie das Gehirn heraus mit ungewöhnlichen Beschäftigungen:

  • Zeichnen Sie etwas mit der «falschen» Hand ab.
  • Stellen Sie ein Blatt oder ein Buch zum Lesen «auf den Kopf».
  • Versuchen Sie, das Alphabet rückwärts aufzusagen oder rückwärts zu zählen.

Dinge tun, die aus dem normalen Funktionstrott ausscheren, sind Dehnungsübungen für den Geist und halten ihn elastisch.


Wenn MS sich auf das Gehirn auswirkt

Nicht nur im Alter baut das Hirn ab, auch jüngere Menschen können betroffen sein, zum Beispiel Patienten mit Multipler Sklerose (MS). MS ist eine entzündliche Erkrankung, bei der die Schutzhülle der Nervenzellen, das Myelin, von den körper-eigene Abwehrzellen bekämpft wird. Dadurch werden Informationen nicht mehr richtig übertragen. Auch die Hirnleistung kann beeinträchtigt sein. Das ist bei etwa 40% der Betroffenen der Fall. 80 bis 90% leiden unter chronischer Müdigkeit, weil die Reizleitung der Nervenzellen gestört ist. «Grundsätzlich gelten die Massnahmen der vier Säulen für MS-Patienten erst recht», so Prof. Calabrese. «Die Erkrankung selber kann man inzwischen ganz gut behandeln, auch wenn sie nicht heilbar ist. Es gibt Medikamente, mit denen man die Symptome sehr gut behandeln kann. Den Verlauf der Krankheit kann man durch diese Massnahmen aber auch positiv beeinflussen und damit auch den Effekt der Medikamente besser ausnutzen.»

Informationen und kostenlose Hilfsangebote erhalten Betroffene bei der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft:

www.multiplesklerose.ch