Das Computer-Seniorenheim: «Langeweile ist für uns ein Fremdwort»
Bild oben: Geneviève Fasel beschäftigt sich jeden Tag mit iPad und iPhone und kommuniziert mit ihren Liebsten.
Einsamkeit und Trübsal blasen ade: In einem Westschweizer Seniorenheim beschäftigen sich die Bewohner mit Internet, Facebook und Skype – und blühen richtig auf.
Viele Rentner, die ins Seniorenheim von Pully VD eintreten, bringen schon seit Längerem nicht nur Koffer und ein paar ihrer Lieblingsmöbelstücke mit. Es sind – wie in immer mehr Schweizer Seniorenheimen – eine steigende Anzahl Bewohner, die ihren Laptop, ein iPad, ein Smartphone oder gleich einen Computer in ihr neues Zuhause transportieren. Der Heimleiter erklärt: «Seit fünf Jahren stellen wir eine wachsende Zahl von Bewohnern fest, die sich für die neue Technik sehr interessieren.»
So wie die 76-jährige Geneviève Fasel, die seit Januar 2012 im Heim von Pully lebt. Sie hat Probleme mit dem Gehen. Ihren Laptop verstaut sie immer in ihrem Schrank, da er zu viel Platz bräuchte, wenn er im Zimmer herumstehen würde. Die elegante Grossmutter surft jedoch jeden Tag auf ihrem iPad und ihrem iPhone im Netz. «WhatsApp mag ich besonders», erklärt sie. Damit kann sie auf dem schnellsten Weg und kostenlos mit ihren Liebsten Nachrichten austauschen. «Meine Kinder schicken mir Ferienfotos. So habe ich das Gefühl, dass ich an ihrem Leben teilhabe. Ich kann sogar sehen, was sie essen», erzählt sie ganz begeistert. Auch auf Facebook ist sie aktiv und wechselt regelmässig ihr Profilbild. Und sie verschickt täglich mehrere Mails.
Sie korrespondiert auch mit einer jungen Frau in Australien. Deren Mutter ist 90 Jahre alt und lebt hier im Heim. «Ich drucke die Fotos und Mails der Tochter aus und zeige sie der Mama. Der Tochter schreibe ich dann, wie es der Mutter geht.»
Zum Zeitvertreib widmet sich Geneviève Fasel gerne das Puzzle-Videospiel «Candy Crush». Daneben schreibt sie auf dem Computer Tagebuch, amüsiert sich mit Videos auf YouTube, reist virtuell mit Google Earth und liest vor dem Schlafengehen die Online-Ausgaben von Zeitungen. «Klar konsultiere ich auch das Online-Lexikon Wikipedia. Da habe ich neulich Informationen über ein Stück von Mozart gefunden, die meinen Zimmernachbarn sehr interessierten.»
Ein anderer Mitbewohner ist der frühere Elektriker Frédéric Rubattel (71), ein grosser Fan elektrischer Eisenbahnen. Er betreibt sogar mehrere Blogs im Internet und kann so mit Leuten aus aller Welt über sein Lieblingshobby fachsimpeln und Informationen austauschen. Auf dem Blog präsentiert er auch das imposante Modell einer Dampflokomotive inmitten einer idyllischen alpinen Landschaft. Seit 30 Jahren arbeitet der heute schwer an Rheuma Erkrankte an diesem Werk und freut sich über positive Kommentare. «Mit den sozialen Netzwerken möchte ich jedoch nichts zu tun haben», erklärt er. Er traue ihnen nicht. «Man hört und liest ja so viel, dass Informationen, die man im Internet preisgibt, überwacht werden», sagt er und spielt damit auf Nachrichten über den Datenklau von Geheimdiensten an.
Andere Heimbewohner, die mit der Technik nicht so klarkommen, profitieren dennoch davon. Magali Wolfensberger arbeitet als Animateurin und sagt: «Es ist kein Problem, einen Bewohner vor den Bildschirm zu setzen, um ihm mitzuteilen, dass sein Kind am Computer mit ihm via Skype sprechen wolle. So können sie einander nicht nur hören, sondern auch sehen.»
Obwohl es manchmal länger dauere, bis die Hemmschwelle der Senioren sinke, seien sie danach begeistert, wie einfach der Umgang mit der Technik sei. «Dann wollen sie manchmal gar nicht mehr weg vom Com puter!»