Bitte stören!

Das sogenannte Perturbations-Training ist der neue Goldstandard in der Be­handlung von Rückenschmerzen und in der Sturz­prävention.

Der «Pure2improve» sieht aus wie eine auf dem Kopf stehende Salatschüssel. Der «Bosu» gleicht einem halbierten Gummiball. Und der «Relaxdays» hat etwas von einem Stützkissen.

Alle drei sind Sportgeräte. Sie wurden entwickelt für das Training von Gleichgewicht und Koordination, entworfen zur Entlastung und Stabilisierung der Wirbelsäule, geschaffen zur Stärkung von Gelenken, Rücken- und Bauchmuskulatur und ein­gesetzt zur Verbesserung von Kraft, Motorik und Reaktions­fähigkeit.

Es sind Stabilisations- oder Balance-Hilfen für das sogenannte  Perturbations-Training.

Dahinter steckt das lateinische Wort perturbare – stören! Gemeint ist: Beim Perturbations-Training werden gezielt Störreize gesetzt, um das Kreuz flexibler zu machen, Schmerzen im Rücken loszuwerden oder das Verletzungsrisiko bei Stürzen im Alter zu minimieren. Wacklige Untergründe oder weiche, instabile Matten dienen dazu, die Reaktionsschnelligkeit und die Genauigkeit der sogenannten Tiefenmuskulatur zu fördern. Dazu werden in Physiotherapie-Praxen auch schon mal Laufbänder eingesetzt, die abrupt kurz stoppen und den Läufer so ins Stolpern bringen. Oder aber: Der Therapeut schubst den Trainierenden leicht von der Seite oder von hinten.

Bloss: Warum das alles? Das Perturbations-Training ist ein neuer Weg, die Wirbelsäule und den Beckenboden zu stärken, sowie die sogenannten unspezifischen unteren Rückenschmerzen zu vermeiden. Vor allem aber sehen die Sportwissenschaftler im Perturbations-Training den Goldstandard, das Sturzrisiko im Alter zu minimieren. Studien aus Deutschland belegen denn auch: «Perturbationsgestützte Trainingsinterventionen können Defizite in der neuronalen Kontrolle und Kraftfähigkeit bei Rückenschmerzen reduzieren.» Und: «Perturbations-Training beeinflusst die Senkung der Sturzrate von älteren Menschen positiv.» Übersetzt vom Wissenschaftlichen ins Umgangssprachliche heisst das: weniger Schmerzen im unteren Rücken, weniger Verletzungen durch Stürze.

Das Perturbations-Training wirkt auf die tieferliegenden und damit unsichtbaren Rückenmuskeln. Diese halten wie ein Korsett den Rumpf stabil und stützen die Wirbelsäule. Auch wenn Arme und Beine dynamisch sind – unser Körper bleibt dank der Tiefenmuskulatur im Gleichgewicht – die Organe bleiben an ihrem Platz. Im Gegensatz zur Oberflächenmuskulatur lässt sich die Tiefenmuskulatur aber nicht so leicht trainieren, weil man die tieferliegenden Muskeln, die unmittelbar vom Gehirn gesteuert werden, nicht willkürlich anspannen kann.

Aktiviert wird die Tiefenmuskulatur am besten, wenn man den Körper ins Ungleichgewicht bringt. Eine der wertvollsten Übungen dazu ist der Einbeinstand auf dem Balancepad. Seine Effektivität lässt sich steigern durch Armbewegungen und durch den Wechsel der Stellung des angehobenen Beins, etwa durch seitliches Abspreizen.

Ob ein Sturz im Alter zu einer Verletzung führt, hängt mass­geblich davon ab, «ob nach einer unvorhergesehenen Störung, wie sie durch ein Hindernis oder ­Stolpern verursacht wird, eine ­effektive Reaktion erfolgt», heisst es in einer Studie der Universität Freiburg (D). Darunter «versteht man eine schnelle und kräftige Muskelkontraktion, die den Körper wieder ins Gleichgewicht bringt und den Sturz verhindert.» Schon ein konventionelles Gleichgewichtstraining ist nach Ansicht der Wissenschaftler wertvoll, doch ein Perturbations-Training stellt erst recht eine realistische Sturz-Prävention mit angemessener Nerven- und Muskel-Antwort dar. «Schliesslich kann erst durch die Reaktion auf die Perturbation, also die Ausgleichbewegung, bestimmt werden, ob ein Sturz abgefangen werden kann.»

Anders gesagt: Bitte mehr stören beim Trainieren!