Bei Anruf prompte Diagnose

Zu jeder Zeit bequem von zu Hause aus einen ärztlichen Rat einholen – das leistet die seit der Pandemie boomende Telemedizin. Viele Krankenversicherungen bieten die telefonische Beratung jedoch schon viel länger an.

Von Ines Rütten

Am Telefon die Beschwerden schildern, ein Foto mit dem Hautausschlag hochladen oder per Video-Call mit der Ärztin sprechen: Telemedizinische Angebote liegen im Trend. Eine Umfrage der Atupri Gesundheitsversicherung hat ergeben, dass die Akzeptanz von Telemedizin in der Schweiz hoch ist. Bereits jetzt nutzen 31 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer bei gewissen Symptomen die telefonischen Beratungen, die den direkten Arztbesuch überflüssig machen können. Vor allem die Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 34 Jahren schätze digitale Gesundheitsangebote, 34 Prozent aller Befragten würden auch in Zukunft auf Telemedizin setzen.

Immer mehr Krankenversicherungen entwickeln neue digitale Möglichkeiten, um diesen Trend zu nutzen. Nicht nur per Telefon, sondern auch mit neuen Apps, Internet-Plattformen und künstlicher Intelligenz versuchen sie, unnötige Arztbesuche zu verhindern. So sollen Spitäler und Praxen entlastet sowie Kosten eingespart werden. Die Versicherten zahlen tiefere Prämien, wenn sie sich verpflichten, sich vor dem Arztbesuch per Telefon beraten zu lassen. «Bei vielen Beschwerden ist ein Besuch in einer Arztpraxis dank der digitalen Beratung nicht mehr nötig», sagt Nadja Schwarz, Mediensprecherin von Medgate. Das Unternehmen mit Sitz in Basel ist seit dem Jahr 2000 Anbieterin von telemedizinischen Leistungen. Es betreibt laut eigenen Angaben das grösste, ärztliche telemedizinische Zentrum Europas und hat Verträge mit vielen Schweizer Krankenversicherungen. Über 100 Ärztinnen und Ärzte sind bei Medgate angestellt, um Patientinnen und Patienten zu beraten und zu behandeln.

Rund die Hälfte aller Fälle können bei Medgate abschliessend am Telefon, per Video oder Chat behandelt werden. Rezepte für Medikamente schicken die Ärzte direkt an die Apotheken. Sind weitere Abklärungen wie Laboruntersuchungen oder andere Befunde notwendig, werden die Patientinnen zur Hausärztin oder zum Spezialisten überwiesen. Krankheiten, die sich telemedizinisch gut behandeln lassen, sind zum Beispiel Bindehautentzündungen, Harnwegsinfekte oder Erkältungen. «Die Telemedizin ist eine sinnvolle Ergänzung zu Hausärzten und Kliniken und kann diese entlasten», sagt Schwarz.

Die Ärztinnen und Ärzte, welche die Telefonberatungen durchführen, haben mehrjährige Praxiserfahrung im Bereich Innere Medizin oder sind in einer Fachrichtung spezialisiert, wie zum Beispiel in der Kinder- und Jugendmedizin, der Gynäkologie oder Dermatologie. Sie alle durchlaufen bei Medgate eine zusätzliche Ausbildung für die Telemedizin, die sie mit einer Prüfung abschliessen.

Einen besonderen Boom erlebte die Diagnose aus der Ferne während der Coronapandemie. Viele Menschen wollten das Sitzen im Wartezimmer aus Angst vor Ansteckung mit dem Virus vermeiden und griffen lieber zuerst zum Telefon. Das spürte auch Medgate. Während des Lockdowns im Frühjahr 2020 wurde das Angebot im März und April im Vergleich zum Vorjahr rund 20 Prozent häufiger genutzt. Auch bei Verdacht auf das Coronavirus konnten die Erkrankten aus der Ferne behandelt werden, um möglichst viele Kontakte und damit mögliche Ansteckungen zu vermeiden.

Politik und Branchenvertreter sehen in der digitalen Medizin ein grosses Potenzial für die Zukunft der Gesundheitsversorgung. Der Berufsverband für Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) beispielsweise fördert diese Möglichkeiten und unterstützt ihre Mitglieder bei der Einführung der entsprechenden Technologien. Man will die Ärzte zu den Patienten bringen, unabhängig von Ort und Uhrzeit. So haben die Notfallstationen und Arztpraxen denn auch mehr Kapazität für all die Fälle, bei denen die passende Behandlung nicht allein mit einem Gespräch zu finden ist.