Beckenboden stärken

Der Darm, die Blase, die Gebärmutter – jede fünfte Frau muss wegen einer Organsenkung im Beckenbodenbereich behandelt werden. Die Vorfälle sind meist harmlos, dennoch erschrecken viele Betroffene.

«Beim Duschen habe ich plötzlich etwas wie einen weichen Pingpongball vor meiner Scheide gespürt. Ist das gefährlich, bösartig?» Solche Fragen hört Dr. med. Daniele Perucchini vom Blasenzentrum Zürich häufig. Sehr häufig, denn er beschäftigt sich ausschliesslich mit Blasen- und Beckenbodenproblemen von Frauen.

20 Prozent der Frauen werden im Laufe ihres Lebens wegen einer Organ-Senkung im Beckenbodenbereich behandelt. Umso erstaunlicher, dass es ein Tabuthema ist: «Noch immer hat ein Grossteil der Frauen keine Ahnung, worum es sich bei dieser Wölbung handeln könnte – viele haben Angst, es sei ein Tumor.» Dr. Perucchini kann meist Entwarnung geben und auch das «plötzlich» entschärfen. «Solange sich die Organe innerhalb der Scheide absenken, wird die Veränderung kaum wahrgenommen – liegt ein Teil vor der Scheide, fühlt es sich nach ‹plötzlich› an.» Ist das schmerzhaft? «Nein. Eine Senkung verursacht ein lästiges Druckgefühl, vielleicht eine gewisse Schwere im Unterleib. Am typischsten aber ist das störende Gefühl.»

Nicht nur die Blase

Oft ist es die Harnblase, manchmal ein Teil der Gebärmutter oder des Darms, der sich gesenkt hat. «Auch wenn häufig von einer Blasensenkung gesprochen wird, ist meist der gesamte Beckenboden betroffen. Aber viele Frauen erschrecken, wenn ich ihnen erkläre, dass es auch bei ihnen so ist», erklärt der Facharzt. Dabei ist das ganz normal: «Der Beckenboden stützt Blase, Gebärmutter und Darm. Wenn Muskulatur und Haltestruktur schwächer werden, drücken die Organe nach unten und können durch die Scheide austreten.» Häufig ist es zuerst die Blase – das dürfte auch der Grund sein, warum so oft nur von einer Blasensenkung die Rede ist.

Dr. Perucchini weiss, warum der Beckenboden häufig eine Schwachstelle ist: «Vor allem die Belastung während einer Geburt ist enorm. Das Risiko steigt um den Faktor 10! Aber auch chronische Verstopfung, Asthma, ständiges Niesen, Husten, Erbrechen, Übergewicht oder schweres Heben erhöht den Druck auf den Beckenboden. Ebenso spielt die genetische Vorbelastung eine Rolle.» Vorbeugen ist schwierig, aber alles, was den Beckenboden stärkt, wie gezieltes «BeBo»-Training, tut gut. Doch auch das kann nur bedingt die Spuren reparieren, die eine Geburt und der Alltag hinterlassen.

Kein Notfall

Viele Frauen nehmen bereits mit 50 Jahren eine Veränderung wahr. Solange diese subjektiv nicht stört, besteht kein dringender Handlungsbedarf. Dennoch: «Wer etwas Ungewöhnliches spürt, sollte nachfragen», rät der Facharzt mit Schwerpunkt Urogynäkologie. Und was dann? «Es gibt Pessare, das sind Würfel oder Schalen, die wie Tampons in die Scheide eingeführt werden und die Organe von unten stützen. Diese Hilfsmittel können rasch eine Besserung bewirken, oder sie können auch zur Überbrückung bis zu einer Operation angewendet werden. Pessare werden von der Patientin selber nach Instruktionen am Morgen in die Scheide eingeführt und am Abend wieder entfernt.» Reicht das nicht aus, stellt sich die Frage nach einer Operation. Dabei werden die schwachen Strukturen rekonstruiert und so Organe wieder «am richtigen Ort» fixiert. In diesem Zusammenhang muss auch die Entfernung der Gebärmutter diskutiert werden. Es gibt verschiedene Operationsmöglichkeiten, der Eingriff kann häufig über die Scheide durchgeführt werden und dauert ein bis zwei Stunden. Für einige Tage bleiben die Patientinnen im Spital, nach sechs Wochen ist auch die Schonzeit vorbei und das unangenehme Thema erledigt.

Deshalb, liebe Frauen: Jede Fünfte ist betroffen – höchste Zeit, dass der Beckenbodenvorfall nicht länger ein Tabu ist!