Angriff gegen sich selbst

Rheumatoide Arthritis, Diabetes, Morbus Basedow: Rund fünf Prozent der Bevölkerung leiden unter einer ­Autoimmunerkrankung. Dabei richtet sich das Immunsystem fälschlicherweise gegen den eigenen Körper.

Das Immunsystem schützt den Körper vor Krankheitserregern wie Viren, Bakterien, Parasiten oder Schadstoffen aus der Umwelt. Dies meist recht zuverlässig, denn «Eindringlinge» lösen sofort einen Alarm aus und veranlassen es dazu, die fremden Substanzen anzugreifen. Dringt beispielsweise ein Virus in den Körper ein, wird es als «fremd» erkannt. Als Folge wird das Immunsystem aktiviert, um den unbekannten Stoff zu bekämpfen.

Anders verhält sich dieser Abwehrmechanismus bei einer Autoimmunerkrankung. «Das Immunsystem wird fehlgesteuert und bekämpft den eigenen Körper», sagt Tuan Thanh Nguyen, Assistenzarzt an der Klinik für Immunologie am Universitätsspital Zürich. Da die Abwehrzellen nicht zwischen «selbst» und «fremd» unterscheiden können, hält das Immunsystem fälschlicherweise eigenes Gewebe für fremd und greift dieses an. Diese Angriffe lösen Entzündungen aus, wodurch Organe und Gewebe im ganzen Körper geschädigt werden. «Je nachdem, welches Organ oder Gewebe betroffen ist, kann es zu unterschiedlichen Erkrankungen kommen», so der Arzt.

Bislang sind über 60 verschiedene Autoimmunerkrankungen bekannt, welche in zwei Formen unterteilt werden.

Bei den organspezifischen Autoimmunerkrankungen richtet sich das Immunsystem gegen ein bestimmtes Organ. Ist der Darm davon betroffen, leiden die Patienten beispielsweise an Krankheiten wie Morbus Crohn. Richtet sich das Immunsystem gegen Zellen der Bauchspeicheldrüse, die Insulin produzieren, kann dies eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ 1) auslösen.

Bei einer systemischen Autoimmunerkrankung werden mehrere Organe und Gewebe gleichzeitig angegriffen, es können verschiedene Krankheiten, wie beispielsweise ein Lupus erythematodes, entstehen. Dieser gehört, zusammen mit der rheumatoiden Arthritis, den Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie dem Diabetes mellitus Typ 1, zu den häufigsten Autoimmunerkrankungen. Bei praktisch allen Autoimmunerkrankungen sind Frauen mindestens gleich oft oder häufiger betroffen als Männer.

Warum manche Menschen dazu neigen, an einer Autoimmunerkrankung zu leiden und andere nicht, ist bis heute nicht vollständig geklärt. «Meist tragen genetische sowie Umwelt-Faktoren zur Krankheitsentwicklung bei», so Tuan Thanh Nguyen weiter. Zu den Umweltfaktoren zählen die Ernährung, Infektionen oder die Darmbesiedelung (Mikrobiom). Bei einigen Autoimmunerkrankungen ist der genetische Faktor – zum Beispiel ein Gendefekt – jedoch praktisch allein für die Entstehung der Erkrankung verantwortlich.

Da Autoimmunerkrankungen meist nicht heilbar sind, begleiten diese die betroffenen Patientinnen und Patienten ein Leben lang. «Eine frühzeitige Diagnose erlaubt es aber, den Krankheitsverlauf mit entsprechenden Therapien positiv zu beeinflussen, sodass die meisten Betroffenen ein weitgehend normales Leben führen können. Manchmal kann die Entzündungsreaktion sogar komplett gestoppt werden», so der Arzt. 

Denn bezüglich der Behandlungsmöglichkeiten hat sich in den letzten Jahren viel getan. Früher gab es nur die konventionellen Immunsuppressiva. Dabei handelt es sich um Substanzen, welche auf eine eher unspezifische Weise das Immunsystem unterdrücken. Neu dazugekommen sind sogenannte Biologika. «Da diese Präparate spezifische Moleküle neutralisieren, verursachen sie viel weniger Nebenwirkungen als die herkömmlichen Medikamente dieser Gruppe.»