Altern können Sie später!

Die Mehrheit der älteren Menschen in der Schweiz fühlt sich gesund. Das bietet Möglichkeiten, dem unweigerlich eintretenden Alterungsprozess ein Schnippchen zu schlagen. Sechs Tipps.

Von Serge Hediger

Mit 66 Jahren» – so sang einst Udo Jürgens – «da fängt das Leben an». Und Strophe für Strophe setzte er 1977 im Laufe seines Lieds noch einen drauf. Mit 66 … 

«… da fängt das Leben an»

«… da hat man Spass daran»

«… da kommt man erst in Schuss»

«… ist noch lang noch nicht Schluss».

Es war nicht der allerallergrösste Hit des Schlagersängers, aber als Gassenhauer nahm das Lied ein Lebensgefühl und eine gesellschaftliche Entwicklung vorweg, die später unter der flapsigen Formulierung «Man ist so alt, wie man sich fühlt» die Runde machten.

Ade Schaukelstuhl! Bye-bye Gehstock! Das Alter hat noch einiges vor mit uns!

Die Botschaft von Jürgens’ Schlager passte perfekt in eine Zeit, in der es den Pensionierten gesundheitlich ­allmählich besser ging. Auch finan­ziell. Jahr für Jahr, Umfrage für Um­frage. Und im Frühling vor einem Jahr stellte das Bundesamt für Gesundheit fest: «Die Mehrheit der Menschen in der Schweiz ab 65 Jahren schätzt die eigene Gesundheit als ausgezeichnet, sehr gut oder gut ein.» Und dies, obschon mehr als drei Viertel der älteren Personen angaben, dass sie mindestens an einer chronischen Krankheit litten oder gelitten haben (Bluthochdruck, Gelenkschmerzen, Herzkrankheiten).

Trotz des insgesamt positiven Bildes zeigte diese Umfrage aber auch: Je rund 15 Prozent der Wohnbevölkerung ab 65 Jahren fühlen sich in der Schweiz oft oder manchmal isoliert und leiden unter seelischen Belastungen wie Angstzuständen oder grosser Traurigkeit. Die Frauen (18 Prozent) sind häufiger von Isolation betroffen als Männer (10 Prozent) und leiden auch häufiger an seelischen Belastungen (20 gegenüber 9 Prozent).

Gesundheitlich gut «zwäg» sind die heutigen 65-Jährigen so aktiv wie wohl nie zuvor. Dabei geht es nicht nur um Sport. Es geht auch um soziale Kontakte, um Freizeit, es geht um Genuss, es geht um Liebe und Beziehung.

Und je mehr wir das eine tun, umso mehr schenkt uns das andere. Sport- und Bewegungswissen­schaftlerinnen und -wissenschaftler haben erkannt: Je aktiver wir sind, desto besser sind wir in der Lage, mit körperlichen Veränderungen umzugehen. Der Spruch «mens sana in corpore sano», wie es im ­alten Rom hiess, ist noch heute aktuell: In einem gesunden Körper lebt ein gesunder Geist. Studien zeigen, dass die kognitive (geistige) Leistungs­fähigkeit im Alter sich durch einen gesunden und bewussten Lebenswandel positiv beeinflussen lässt. Umgekehrt bringen gleichzeitige Einschränkungen in Mobilität und Kognition ein erhöhtes Demenz­risiko mit sich.

1 Üben Sie ein Ehrenamt aus!

13,3 Prozent aller über 65-­jährigen Schweizerinnen und Schweizer engagieren sich einer Untersuchung zufolge in der institutionalisierten ­Freiwilligenarbeit (in Vereinen oder Organisationen). 28,9 Prozent sind es bei der ­informellen Freiwilligenarbeit (im Privaten).

Studien zeigen, dass freiwilliges Engagement wie Nachhilfe oder Musikstunden geben oder Vereins­tätigkeiten (Tixitaxi fahren) nicht nur für innere Befriedigung sorgt, sondern das Demenzrisiko um bis zu 50 Prozent reduziert. Zudem stärkt ein Ehrenamt das Gefühl der Zugehörigkeit und schützt vor sozialer Isolation – ebenfalls ein bedeutender Risiko­faktor für Demenz.

2 Begeben Sie sich in ­Gesellschaft!

7,1 Prozent aller Schweizerinnen und 5,7 Prozent der ­Schweizer fühlen sich ziemlich häufig bis sehr häufig einsam. In den Städten eher als auf dem Land, in der Westschweiz stärker als in der Zentralschweiz. Und 15- bis 34-Jährige (8,2 %) häufiger als über 65-Jährige (4,6%).

Zwar führt Einsamkeit nicht ­automatisch zu Alzheimer, aber ungewolltes Alleinsein zählt zu den Risikofaktoren. Denn ­Isolation sorgt dafür, dass das Gehirn nicht mehr gefordert wird. Und sie begünstigt ­Depression. Also raus aus dem Haus – für eine nachmittägliche Jassrunde im Restaurant oder zu ­einem Spaziergang mit Freundinnen.

3 Schwingen Sie das ­Tanzbein!

Gemäss einer sportwissenschaftlichen Masterarbeit über die gesundheitlichen ­Vorzüge der Bewegung zu ­Musik tanzen 47 Prozent aller Frauen und 64 Prozent aller Männer in der Schweiz nie.

Ob Walzer oder Foxtrott – Tanzen kombiniert eine körperliche Aktivität mit mentaler Stimulation, da Schritte und Bewegungen erst erlernt werden müssen. Eine britische Studie belegt, dass Tanzen das Risiko für Demenz um bis zu 76 Prozent senken kann – und damit von allen Freizeitaktivitäten am stärksten. Übrigens: Linedance geht auch ohne Partner.

4 Schalten Sie das ­Hörgerät ein!

450 000 Schweizerinnen und Schweizer über 65 haben Umfragen gemäss eine Hörbehinderung – aber nur 9 Prozent ­aller 65- bis 74-Jährigen und 21 Prozent aller über 75-Jährigen tragen ein Hörgerät. 46 Prozent unternehmen nichts! 

Noch immer wird unterschätzt, wie negativ sich Hörschwierigkeiten auf das Leben auswirken – und auf das Hirn. Wer nicht ­versteht, was gesprochen wird, schaltet im Wortsinn ab. Ein verbessertes Hörvermögen durch ein Hörgerät oder gar ein Cochlea-Implantat fördert die soziale Interaktion, steigert die Lebensfreude und senkt nachweislich die Demenzgefahr.

5 Sorgen Sie vor!

«Bitte zeichnen Sie eine Uhr. Und beschriften Sie daneben die Zeit auf Ihrer Uhr so, wie sie im Zugfahrplan stünde.» Dieser sogenannte Uhrentest wird in der Neurologie und ­Neuropsychologie seit Jahren verwendet. Er erlaubt es, in sehr kurzer Zeit wichtige kognitive Aspekte von Demenz zu untersuchen (Gedächtnis, Sprache).

Gerade, weil Demenz nicht heilbar ist, ist eine frühzeitige Diagnose wichtig. Der Uhrentest beim Arzt gibt erste Aufschlüsse über die kognitiven Fähigkeiten. Geprüft wird, ob zwölf Zahlen vorhanden sind, die Zahl 12 oben ist, zwei unterscheidbare Zeiger erkennbar sind und die gezeichnete Zeit mit der Zeit im Fahrplanformat übereinstimmt. Auch Erkrankungen wie Blutdruck oder Diabetes begünstigen Demenz. All das macht Vorsorge­untersuchungen so wichtig!

6 Werfen Sie den ­Kochherd an!

Für Menschen ab 65 Jahren empfehlen Ernährungswissenschaftler Lebensmittel wie ­Artischocken, Auberginen, ­Gurken, Tomaten, Heidel- und Himbeeren, Pflaumen, Trauben, Melonen, Pouletfilet, fettreicher Fisch, Olivenöl, Baumnüsse. Eher gemieden werden sollten Sonnenblumenöl oder Schmelzkäse.

Die geistige Stimulation ist das eine, eine gesunde Lebensweise das andere. Kochen kombiniert beides. Besonders die mediterrane Küche mit Gemüse, Fisch und gesunden Fetten mindert die ­Gefahr für kognitive Erkrankungen rund um einen Drittel. Zwei Rezepte stechen unter den Ernährungsempfehlungen für über 65-Jährige besonders heraus: Spinat-Knödel mit Pilzen und Paprika-Tomaten-Gemüse mit Reis.