Mein Rezept fürs Glück

Über Jahrzehnte kochte sie sich mit ihrer TV-Sendung und ihren Büchern in die Herzen der Schweizerinnen und Schweizer. Im kommenden Jahr feiert die Bernerin ihren 80. Geburtstag – und denkt noch lange nicht ans Aufhören.

In ihrem Berner Kochstudio schneidet sie gerade eine Zwiebel und muss dann kurz schmunzeln. «Meine Tochter ­würde sagen: ‹Richtig dilettantisch!›», sagt Annemarie Wildeisen (79). Denn an ihrer Schnitttechnik könne man sicher noch ­einiges verbessern. Als «Köchin der ­Nation» machte sie sich in den vergan­genen Jahrzehnten einen Namen – und das, weil sie das Thema Kulinarik den Schweizerinnen und Schweizern auf ­verständliche Art und Weise näherbringt. Sie ist lieber unperfekt, aber dafür so, dass es jeder nachmachen kann.

Deswegen wurde Wildeisen in den vergangenen Jahren immer wieder belächelt und als «Hausfrau» abgestempelt, anstatt als erfolgreiche Köchin gefeiert. Solche Kommentare hat Annemarie Wildeisen, die einst über den Journalismus in die Kulinarik rutschte, gelernt, wegzustecken. Denn die Bernerin weiss, wie hart sie für ihren Erfolg ge­arbeitet hat. «Ich habe mich nie auf den ­Lorbeeren ausgeruht und immer weiterentwickelt. Ich bin sehr selbstkritisch und weiss genau, wenn ich mich in etwas noch verbessern muss.»

In den vergangenen Jahrzehnten hat sie sich ihr eigenes Kochimperium aufgebaut: Annemarie Wildeisen führte lange durch eine eigene Sendung im Regio-TV, ver­öffentlichte über 50 Kochbücher, gibt noch immer regelmässig Kochkurse und produzierte bis vor kurzem ihr eigenes Koch­magazin. Nachdem der Verleger von Letzterem den Vertrag nicht mehr ­verlängert hatte, lancierte die 79-Jährige gemeinsam mit Tochter Florina Manz (40)ihr eigenes ­Magazin «Geniessen» – und das ausschliesslich digital. «Wir mussten viel ­dazulernen», sagt Wildeisen. Das plötz­liche Aus ihres früheren ­Magazins, ihr Herzens­projekt, das sie mit viel ­Liebe fürs Detail aus ihrem Büro in Bern gestaltet hatte, habe ihr sehr zugesetzt. «Mein Mann ­sagte, er habe mich in all den Jahren Ehe nie so traurig gesehen.»

Pension steht nicht zur Debatte

Ob das nicht der perfekte Moment gewesen wäre, um einen Gang zurückzuschalten? Die Köchin muss keine Sekunde überlegen: «Nein!» Sie und ihre Kinder würden sich immer wieder zu Höchstleistungen motivieren. «Deshalb ist das Arbeiten für mich ein Dürfen – ganz losgelöst vom ­Alter.» Vieles konnte sie in den letzten ­Jahren ohnehin an die Jungen abgeben. «Ich kann nur das machen, was ich liebe: Kurse geben und Rezepte schreiben.»

Klar, gehöre es zwischendurch auch dazu, sich in den Mittelpunkt stellen zu müssen. «Die Leute glauben mir das kaum, aber ich habe das eigentlich noch nie gerne gemacht.»

Rückendeckung bekommt sie nicht nur von ihren Kindern Florina und Tobias (46), die das Unternehmen mittlerweile führen, sondern auch von Ehemann Peter (84). Er bringe grosses Verständnis dafür mit, dass sie nicht einfach die Füsse hochlege und die Rente geniesse. «Er weiss, dass ich unglücklich wäre, würde ich nur noch Golf spielen und zu Hause für uns kochen.»

Solange die Gesundheit mitspiele, will Wildeisen deshalb auch weiterhin in der Firma mitanpacken. Und das tut sie, wie beim Treffen schnell deutlich wird: Wildeisen huscht noch immer von einer Ecke in die andere in ihrer grossen Kochschule in Bern. Wenn es mal etwas zu tragen gibt, will sie sich nur ungern helfen lassen – weil sie die Unterstützung auch nicht benötigt. «Hie und da habe ich mal Rückenweh, aber ansonsten geht es mir sehr gut. Ich bin da wirklich gesegnet.» Sie merke aber auch, dass die Energie nicht mehr die­selbe sei. «Früher ging ich nach einem vierstündigen Kochkurs noch ins Büro und arbeitete weiter. Heute brauche ich mehr Pausen.»

Das Geheimnis ihres Erfolgs? Sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen! «Es braucht einfach Disziplin. Manchmal, wenn ich zurückblicke, staune ich selber, wie ich ­alles unter einen Hut gebracht habe.»

Leben verändert

Was aber auch für Wildeisen spricht: Ihre Rezepte sind so ausführlich, dass es auch Kochanfängern gelingt, ihre Gerichte ­umzusetzen. Sie erinnert sich an eine ­Begegnung beim Einkaufen in der Migros um die Ecke: «Ein älterer Mann, weit über 70 Jahre alt, sprach mich an und dankte mir: ‹Sie haben mir das Leben gerettet!› Ich habe ihn mit grossen Augen angeschaut.» Zwei Jahre zuvor hatte er seine Ehefrau an Krebs verloren. Eine ihrer grössten Sorgen war es, dass er nicht für sich alleine kochen könne. «Als seine Frau wusste, dass es auf das Ende zuging, hat sie ihm meine ­Bücher empfohlen. Seither kocht er jeden Tag selber. Und er ­meinte, dies sei insofern lebensrettend, weil er eine Aufgabe im ­Kochen gefunden habe», erzählt Anne­marie Wildeisen. Für sie sei das eines der schönsten Komplimente, das sie je erhalten hat. «Es ist ­genauso viel wert wie der Applaus, den Spitzenköche erhalten.»

Bis heute ist sie sich deshalb sicher: «Ich habe den wunderschönsten Job der Welt.» Sie habe ihr Rezept fürs Glück gefunden, freut sich Wildeisen.