
Statussymbole wie ein teures Auto würden nicht mit seinen Werten übereinstimmen, sagt Schwingerkönig Armon Orlik.
Schwingerkönig Armon Orlik
«Gott trage ich in meinem Herzen»
Der neue Schwingerkönig ist ein bescheidener Mann. Er holt Kraft im Glauben und Selbstbewusstsein beim Athletiktrainer. Ob Siegermuni Zibu oder ein Ferrari – Bargeld ist ihm lieber. So tickt die Nummer eins im Schweizer Nationalsport.
Von Thomas Wälti
Wenn Armon Orlik (30) dieser Tage seine Eltern im Bündner Winzerstädtchen Maienfeld besucht, bereitet Mutter Helena (58) sein Lieblingsessen zu. «Mama kocht wahnsinnig gut. Ich wünsche mir immer ein feines Stück Fleisch, Kartoffelstock mit viel Sauce und Gemüse», sagt der neue Schwingerkönig. Und ergänzt schmunzelnd: «Die Pizza Arlecchino mit Peperoni, Zwiebeln, Speck und Oliven – mein persönlicher Favorit – kann ich ja im Restaurant bestellen.» Vor drei Jahren hat er das eigene Zuhause verlassen und den Lebensmittelpunkt nach Rapperswil-Jona SG verlegt. Davon später mehr.
«Die Besuche von Armon machen mich glücklich», sagt Helena Orlik. Ihr jüngster Sohn habe einen feinfühligen und ehrlichen Charakter. Als Erstes frage er sie immer nach ihrem Befinden. «Armon ist zielstrebig. Er weiss, was er will, und sagt, was er denkt.» Auf die Frage, worin er sich von seinen Brüdern Lucas (35), Flavio (34) und Curdin (32) unterscheide, antwortet Helena Orlik: «Armon ist einen Tick ehrgeiziger als die anderen. Und sehr fokussiert – als Sportler wie als Holzbauingenieur.» Und ja: Armon Orlik ist Single. Seine Mama meint: «Es ist halt nicht leicht, eine Freundin zu finden, wenn man derart konsequent auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet.»
Im trauten Familienkreis wird viel diskutiert, oft und gerne ein Jass geklopft oder das Strategiespiel «Die Siedler von Catan» gespielt. Mit am Tisch sitzt dann auch Vater Paul Orlik (62), ein ehemaliger Aktivschwinger und Kampfrichter. Für Armon Orlik haben die Eltern grossen Anteil am Königstitel. «Sie haben mich als Jungspund ins Training gefahren, mich immer unterstützt und später vor dem gröbsten Rummel geschützt», erklärt der erste Bündner Schwingerkönig. Bis auf weiteres fungiert Helena Orlik als Medienmanagerin des Königs und betreut gemeinsam mit ihrem Mann den Fanshop ihres berühmten Sohnes, dessen rätoromanischer Vorname «Mann des Heeres» bedeutet. «Der Vorname Armon hat uns einfach gefallen. Über Herkunft und Bedeutung haben wir uns bis heute keine Gedanken gemacht», sagt Helena Orlik, die aus Unterlunkhofen AG stammt.
Den Namen Orlik verdankt Armon seinem Grossvater Georg. Dieser flüchtet 1952 als 19-Jähriger aus der damaligen Tschechoslowakei in die Schweiz, wo er Arbeit in einem Hotel in Montreux VD findet. Dort verliebt er sich in die Arbeitskollegin Luisa Bigliel. Mit der Bündnerin gründet er eine Familie. In diese wird Paul Orlik geboren.
Armon Orlik wächst katholisch auf. Er sei kein regelmässiger Kirchgänger, meint der 1,90 Meter grosse und 115 Kilogramm schwere Modellathlet. «Gott trage ich in meinem Herzen. Er gibt mir Kraft. Ich verrichte jeweils kurze Gebete. So berühre ich vor einer Autofahrt das Kruzifix und bete für ein sicheres Ankommen. Oder ich bedanke mich dafür, dass es mir so gut geht und ich immer genügend zu essen bekomme», erzählt er.
Den emotionalsten Moment nach seinem Triumph beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Mollis GL erlebt Armon Orlik am feierlichen Empfang in Maienfeld. Zuvorderst in der Stadtmusik musizieren seine Eltern Helena und Paul. «Es war gewaltig. Ich kämpfte mit den Tränen.» Dann gibt Stadtpräsident Heinz Dürler bekannt, dass zu Ehren des Königs ein Armon-Orlik-Platz geschaffen werde. «Diese Ehrerweisung bedeutet mir mega viel. Ich kenne diesen Platz von Kindsbeinen an und hätte mir nie vorstellen können, dass er irgendwann nach mir benannt würde.»
Lieber auf dem Velo als im Ferrari
Beim Empfang in Maienfeld erzählt der Thurgauer Eidgenosse Domenic Schneider bei seiner Würdigung eine interessante Anekdote. Der Chef von Armon Orliks Hauptsponsor Schenker Storen habe einst versprochen, dass der Erste aus seinem alimentierten Schwinger-Team, der Schwingerkönig werde, einen Ferrari erhalten würde. «Ja, diese Geschichte kenne ich auch. Sie ist aber schon zehn Jahre alt. Mal schauen, was jetzt passiert», sagt Armon Orlik und lacht. Den Sportwagen würde er auf jeden Fall zurückgeben und den Gegenwert nehmen. «Statussymbole wie ein Ferrari stimmen nicht mit meinen Werten überein. Ich fahre lieber Velo. Es ist mein allerwichtigstes Verkehrsmittel. Das Auto hingegen benutze ich höchstens für Fahrten an Schwingfeste oder zum Training.» Armon Orlik ist Mitglied im Verein Pro Velo in Rapperswil-Jona. Übrigens: Den ESAF-Siegermuni Zibu hat er gegen Bargeld eingetauscht. Mit einem Teil der geschätzten 30 000 Franken wird er sich einen Chronometer kaufen.
Rückenprobleme in Griff bekommen
Szenenwechsel. Industriequartier Schachen in Rapperswil-Jona. Armon Orlik parkiert sein Mountainbike vor dem Fitnesscenter Sypoba. Es gehört Robin Städler (53). Er hat die Trainingsmethode mit der Rolle und dem Brett entwickelt – eine Kombination von Kraft- und Athletiktraining mit Gleichgewicht. Der strenge Athletiktrainer ist gewissermassen das letzte Teilchen im Erfolgspuzzle des Schwingerkönigs. «Vor drei Jahren brauchte ich neue Trainingsreize. Robins Athletiktraining interessierte mich schon lange. Deshalb zog ich in seine Nähe.» Robin Städler habe ihm geholfen, seine Rückenprobleme in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus schaffte es der Bündner, Armon Orliks Psyche zu stärken. «Robin hat mich aufgefordert, höhere Ziele anzupeilen.» Robin Städler lobt seinen Schützling: «Armon ist ruhig, intelligent und demütig. Er geht kompromisslos seinen Weg, ist sehr ehrgeizig und extrem widerstandsfähig. Und er hat eine gewisse Sensibilität.»
Der Umzug in die Rosenstadt hat Armon Orlik weitere Vorteile gebracht. Von seiner Wohnung bis zu seinem Arbeitgeber HTB Ingenieure AG, wo er ein 50-Prozent-Pensum verrichtet, ist es nur ein Katzensprung. Auch die Anfahrtswege zu den Nordostschweizer Spitzenschwingern um Samuel Giger (27) sind für Armon Orlik kürzer geworden. So kann der ETH-Absolvent intensiver mit ihnen trainieren und unter der Führung des dreifachen Schwingerkönigs Jörg Abderhalden (46) sowie seines langjährigen Betreuers Beat Schläpfer Fortschritte erzielen. Zudem ist er an seinem neuen Wohnort weniger bekannt. «Ich geniesse es, mit dem Bike durch die Stadt oder aufs Land zu fahren, ohne dass ich überall erkannt werde», sagt er. Dabei bringt er sich gern mit Technomusik in Stimmung – so wie er dies vor seinen Wettkämpfen im Sägemehlring tut. «Der schwedische DJ Basshunter pusht mich vorwärts mit seinen harten Klängen.»
Armon Orlik gönnt sich nun ein paar Tage Ferien. «Ich mache jedes Jahr mit zehn ehemaligen Schulkollegen eine Reise ins nähere Ausland. Heuer lassen wir es uns in Como, in der italienischen Region Lombardei, gutgehen.» Was steht zuoberst auf seiner Wunschliste? «Nichts Spezielles», antwortet er. «Es sind Sachen, die ich schon mal gemacht habe, wie zum Beispiel der Besuch eines grossen Sportanlasses.» Vor zwei Jahren ging Armon Orlik mit ein paar Schwingkollegen an ein Spiel im Rahmen der Rugby-WM nach Lyon (F). Mitte Oktober reist er nach London, wo er im Wembley-Stadion ein American-Football-Spiel verfolgen wird.
Kehren wir zum Schluss zurück zum Status von Armon Orlik als König: Wenn er einen Tag in der Schweiz regieren dürfte, welches Gesetz würde er erlassen? Der 26-fache Kranzfestsieger und vierfache Eidgenosse richtet seinen Blick auf den Boden, wartet einen Augenblick mit der Antwort und sagt dann: «Ich möchte das nicht. In der Schweiz hat das Volk das letzte Wort. Und ich gehöre als Schwingerkönig zu diesem Volk – nicht mehr und nicht weniger.»