
Die Slackline befindet sich in Angélique Beldners Lieblingspark im Berner Liebefeld. Hier führte einst ihr Schulweg vorbei, heute entspannt sie oft und gern in diesem Park.
Angélique Beldner
«Es ist Zeit für etwas anderes»
Die Bernerin ist neuerdings etwas weniger am TV zu sehen, dafür tritt sie mit ihrem zweiten Buch zum Thema Rassismus ins Rampenlicht. Bei einem Spaziergang zeigt die Moderatorin ihre Berner Lieblingsplätze.
Von Andrea Butorin
Flink steigt Angélique Beldner (49) auf die Slackline in ihrem Lieblingspark im Berner Liebefeld-Quartier. Als hätte sie es schon oft geübt, hält sie sich kurz an der stützenden Hand fest und balanciert dann mehrere Sekunden lang ganz allein auf dem gespannten Band.
Angélique Beldner ist im Aufbruch. Eben hat die Journalistin und TV-Moderatorin, welche die Quizshow «1 gegen 100» moderiert, ihre letzte Mittags- und Vorabend-«Tagesschau» präsentiert. Und heute erscheint ihr neues Buch «Rassismus im Rückspiegel». Bei einem Spaziergang zu ihren liebsten Plätzen in Bern erzählt sie, wie es dazu kam.
Angélique Beldners Mutter ist Schweizerin, ihr Vater stammt aus dem westafrikanischen Benin und lebt heute in Paris. Ihre ersten Kleinkinderjahre verbrachte sie in Frutigen BE, dann zogen sie nach Bern. Ihre Kindheit beschreibt sie als «glücklich» und «wohlbehütet». Es gab indes immer auch Nadelstiche: Als Schwarze wird Beldner immer wieder mit Rassismus konfrontiert. Doch viele Jahre hört sie lieber weg, entschuldigt, passt sich an.
Das Umdenken beginnt, als 2020 in den USA der Schwarze George Floyd (†46) von einem Polizisten getötet wird, was weltweit zu den Protesten unter dem Motto «Black Lives Matter» (Schwarze Leben zählen) führt. Da beginnt auch Angélique Beldner genauer hinzuschauen. Und wird zu einer Stimme, die anhand ihrer eigenen Geschichte Rassismus thematisiert. Zuerst in einem SRF-Dokfilm und dann in ihrem ersten Buch «Der Sommer, in dem ich Schwarz wurde»*.
Wie kam es zu ihrem jetzigen zweiten Buch? «Mir scheint, dass den Menschen immer noch zu wenig bewusst ist, welche Mechanismen hinter Rassismus stecken», antwortet Beldner, nachdem sie im Zehnerbus Platz genommen hat, um vom Liebefeld in die Berner Innenstadt zu fahren. Es habe sie gereizt, herauszufinden, wie diese Mechanismen entstehen und sich entwickeln. Das tut sie auf anschauliche Weise anhand ihrer eigenen Geschichte.
Ob beim Spiel «Schwarzer Peter», in Kinderbüchern oder im Fernsehen: In Angélique Beldners Kindheit wurden Schwarze entweder klischiert oder negativ dargestellt. Ein besonderer Moment war deshalb, als sie als Zehnjährige in der TV-Sendung «Wetten, dass …?» die Schauspielerin Shari Belafonte (70), die Tochter von Musiker und Schauspieler Harry Belafonte (1927–2023), erblickte. Beldner war beeindruckt und wollte ab da ebenfalls Schauspielerin werden – und tatsächlich absolvierte sie später eine Schauspielausbildung. Auch die vielen «coolen» Schwarzen Musikerinnen und Musiker, die sie später im Musik-Sender MTV sah, haben sie geprägt.
Das Buch wird sie die nächsten Monate beschäftigen: Sie wird Lesungen geben und mit Sicherheit zahlreiche Reaktionen erhalten. Möglicherweise auch negative. Angélique Beldner blickt jedoch positiv nach vorn: «Wenn wir morgen in den Rückspiegel blicken, werden wir sehen, dass es mal so etwas wie Rassismus gab», beschreibt sie in ihrem Buch ihre Zukunftsvision.
Letzte «Tagesschau» moderiert
Auf ihrer «Tour de Berne» spaziert Angélique Beldner nun zwischen dem Bundeshaus und dem Münster über die Kirchenfeldbrücke. Am anderen Ufer befinden sich zwei Plätze, an denen sie sich besonders wohlfühlt und die sie Freunden, die sie in Bern besuchen, immer zeigt: zunächst die Wiese vor dem Historischen Museum. Obwohl das Museum an jenem Tag zu hat, fläzen sich viele Menschen in einer der Klappliegen. Auch Angélique Beldner schnappt sich eine und atmet auf.
Beruflich hat sie gerade ein Kapitel abgeschlossen: Mitte Juli hat sie zum letzten Mal die Mittags- und Vorabend-«Tagesschau» moderiert. Während der beiden letzten Sendungen habe sie sich gefühlt wie immer. «Beim Verabschiedungstext musste ich mich aber konzentrieren, dass meine Stimme nicht bricht», sagt sie. Dass ihre Kollegen sie am Ende mit einem kurzen Video und einem Blumenstrauss überraschten, habe sie sehr berührt.
Zehn Jahre lang gehörte sie zum Moderationsteam der «Tagesschau», was sie sich erkämpfen musste: Als sie sich zum ersten Mal für die Moderation bewarb, erfuhr sie hintenrum, dass ihr abgesagt worden war, weil die Schweiz noch nicht reif für eine Schwarze Moderatorin sei. «Nun ist es Zeit für etwas anderes», sagt sie.
Beldner bleibt weiterhin zu 60 Prozent bei SRF angestellt: Sie arbeitet als Reporterin und Redaktorin und leitet mit einem Kollegen den sogenannten Korrekturdienst, der sämtliche Nachrichtensendungen kontrolliert, bevor sie über den Äther gehen. Am Bildschirm bleibt sie weiterhin zu sehen: als Moderatorin der beliebten Quizshow «1 gegen 100». Am 1. September geht es nach der Sommerpause weiter mit der Sendung, die im letzten Jahr einen rekordverdächtigen Marktanteil erreicht hat.
Nach der kurzen Ruhepause im Museumsquartier will Angélique Beldner noch ihren Lieblingsplatz an der Aare zeigen: Sie steigt die Treppe zum Schwellenmätteli hinab, wo sich nach wenigen Metern ein traumhafter Ausblick eröffnet: auf die untere Berner Altstadt mit dem Münster und die Aareschlaufe. «Mit meinem Mann spaziere ich hier oft.» Diese Freizeitbeschäftigung hätten sie und der Jurist entdeckt, als ihre beiden Söhne noch kleiner waren und sie diese höchstens ein paar Stunden lang allein lassen konnten. Heute sind die beiden 17 und 14 Jahre alt. Der Ältere ist am Gymnasium, der Jüngere will eine Lehre machen.
Bevor für alle der Ernst des Lebens wieder losgeht, stehen für Angélique Beldners Familie grosse, schon lange geplante Ferien an. «Unsere gemeinsamen Reisen zu viert sind vermutlich gezählt, darum freue ich mich sehr darauf», sagt sie und steigt wieder hinauf ins Gewusel der Berner Innenstadt.
* Schwarz wird im Text gross geschrieben, weil damit nicht die Farbe der Haut als Eigenschaft beschrieben wird, sondern eine politische und soziale Zugehörigkeit.