Die Apéro-Challenge

Die Fahrt auf der Seine bis zum Atlantik verläuft ruhig. Auch dank einer Wette zwischen den beiden Kapitänen: Wer ist der ­bessere Schleusen-Pilot?

Lenken wir Sie nicht ab?», will eine Passagierin wissen, «Sie können es ruhig sagen, wenn Sie genug von uns haben, gäled Si.»

Frédéric Schuhl winkt ab: Der charmante Kapitän der «Excellence Royal» geniesst es, wenn Gäste auf die Kommandobrücke kommen und ihn mit Fragen löchern.

Auch in stressigen Situationen, etwa in Schleusen, lässt sich der 43-jährige Franzose nicht aus der Ruhe bringen.

Während er das 110 m lange Flussschiff konzentriert in die Schleuse bei Chatou steuert, hat das 11,40 m breite Schiff auf jeder Seite nur noch 10 cm Spatzung.

«Ihnen helfen aber Sensoren, damit das Schiff nicht an die Wände stösst, oder?», fragt ein Passagier während des ­Manövers erstaunt.

Schuhl lächelt, denn das Kunststück ist allein seinem Fingerspitzengefühl und seiner Erfahrung zu verdanken.

Und ein bisschen auch einer Challenge zwischen ihm und dem Zweiten Kapitän Nicolas Denise.

Die beiden führen eine Strichliste: Für jede touchierte Schleusenwand ist am Ende der Reise, die auf der Seine von Paris nach Caudebec-en-Caux oder bis nach Le Havre geht, ein Apéro fällig.

Der Erste und der Zweite Kapitän verstehen sich blendend, man bekommt sogar das Gefühl, dass die zwei gut befreundet sind. Das täuscht nicht, wie Schuhl verrät: «Zwischen uns gibt es keinerlei Machtkämpfe.» Im Gegenteil: Nicolas sei froh, dass er nicht seine Verantwortung tragen müsse.

Wenn alles rundläuft, ist das Leben als Erster Kapitän angenehm: Die Gäste umschwärmen ihn und schauen zu ihm hoch.

«Doch sobald etwas passiert, sind schnelle und klare Entscheidungen gefragt.» Diesen Druck halte nicht jeder aus, erzählt Schuhl.

Das wird aber von ihm verlangt. Nicht nur vonseiten der Gäste, sondern auch vom Schweizer Anbieter Mittelthurgau Reisen. Zwischen März und Oktober machen fast jede Woche 140 Kunden des Flussfahrt-Spezialisten Ferien auf der «Excellence Royal» in Nordfrankreich.

Erst kürzlich fiel eine Wasserpumpe aus. Da war Erfahrung gefragt. Und die hat Schuhl: Er hilft den Matrosen, wann immer er kann. Ihm macht das Spass: «Ich will das Schiff, das ich fahre, in- und auswendig kennen.»

Ein vergleichsweise harm­loser Zwischenfall, denn es ist schon Schlimmeres passiert: «Jemand hatte einen Herz­infarkt an Bord. Dann musst du funktionieren und alles korrekt und schnell organisieren.»

Dafür steht zum Glück ein Manual zur Verfügung, «bei der Reparatur einer Wasserpumpe aber nicht».

Sein Einsatz wird von den Gästen ästimiert, die überzeugt sind, dass er schon als Kind davon geträumt habe, ­Kapitän zu werden. Schuhl schüttelt den Kopf: «Ganz und gar nicht.» Sein Vater war Ingenieur, ebenso ein Onkel, also habe auch er Ingenieurwissenschaften studiert.

Wirklich gefallen habe ihm die Materie aber nie. «Und als Freunde von mir für ein Theaterschiff auf dem Canal du Midi Schauspieler und Comedians suchten, habe ich mich spontan gemeldet.»

Es dauerte nicht lange, bis die Navigation des Schiffes Schuhl mehr als alles andere interessierte. Nach drei Jahren auf der Bühne war für ihn klar, dass sich sein Leben in Zukunft auf der Kommando­brücke abspielen wird.

Die Ausbildung zum Kapitän schloss er mit Bravour ab, danach setzte er jahrelang auf Frachtschiffe.

«Ich habe sogar zwei eigene besessen», die Bank habe ihm geholfen, sie zu bezahlen.

«Ich genoss das Gefühl von Freiheit sehr. Ich war immer dort, wo es Ware zu transportieren gab.» In Deutschland, Holland oder Frankreich.

«Doch nach einigen Jahren vermisste ich meine vier Kinder dann doch zu sehr, ich bin ein Familienmensch.» Darum verläuft sein Leben seit ein paar Jahren in geordneteren Bahnen: Seit 2019 ist er Kapitän auf der «Excellence Royal».

Der Arbeitsrhythmus hier ist ideal für ihn: 14 Tage ist Frédéric an Bord, 14 Tage zu Hause in der Nähe von Saint-Tropez. Eine Frage brennt einem Gast noch unter den Nägeln. «Wer muss am Ende einer Reise mehr Apéros bezahlen: Sie oder Nicolas?»

Frédéric Schuhl schaut zu Nicolas Denise, der gerade die Kommandobrücke betritt. Der zwinkert dem Chef zu und schweigt. Der Erste Kapitän tut das Gleiche.