Und plötzlich bist du die Frau eines Doppelmörders

Im April 2009 wird in einer Reihenhaussiedlung ein Ehepaar erschossen. Als Mörder verurteilt wird Andreas Darsow, der Nachbar. Nun verrät seine Ehefrau, weshalb sie bis heute zu ihm hält und nie vom Tatort weggezogen ist.

Von Lena Zander

Ihr Leben war wunderbar spiessig. Anja Darsow lebte mit ihrem Mann Andreas in einem Reihenhäuschen in Babenhausen bei Frankfurt. Sie ist mit 30 gerade zum dritten Mal Mama geworden, als an einem frühen Montagmorgen die Polizei vor der Tür steht und ihren Mann mitnimmt. Und plötzlich ist der Familienvater ein Doppelmörder.

«Seit dem Tag gibt es keine heile Welt mehr», sagt Anja Darsow 14 Jahre nach diesem 11. Mai 2009. Andreas Darsow hat, so urteilt das Landgericht Darmstadt am 19. Juli 2011, seine Nachbarn erschossen (siehe Box). Motiv: Streit um Lärm. Die Strafe: lebenslang! Das Gericht stellt die besondere Schwere der Schuld fest, eine Entlassung nach 15 Jahren Haft ist damit praktisch unmöglich.

Anja Darsow ist über Nacht gebrandmarkt. Im Supermarkt wird sie sogar heute noch angesprochen: «Sie sind doch die Frau Darsow, die vom Mörder?» Sie lächelt verlegen: «Daran habe ich mich gewöhnt. Es klingt hart, aber mit der Zeit stumpft man ab.»

Wie erklärt eine Mutter ihren Kleinen, dass ihr Vater zwei Menschen erschossen hat? Ihnen keinen Gutenachtkuss mehr gibt oder sie tröstet? «Natürlich gab es viele Tränen. Aber ich habe von Anfang an versucht, sie mit einzubeziehen. Ihnen alles kindgerecht zu erklären. Ich habe ihnen gesagt, dass Papa Unrecht geschieht.»

Neben den Sorgen um ihre Kinder fürchtet Anja Darsow plötzlich auch um ihre Existenz. «Wir standen ja ganz allein da. Ich hatte nicht mal mehr eine Krankenversicherung. Das lief alles über meinen Mann.» Das Geld wird schnell knapp. «Ich habe alles auf das Minimum reduziert, das Essen für die ganze Woche vorgeplant. Geguckt, was ich einsparen kann. Für Klamotten bin ich in den Second-hand-Laden oder habe Bekannten etwas abgekauft.»

Unterstützung bekommt sie von den Eltern. «Sie waren viel bei den Kindern. So konnte ich ein paar Euro verdienen, die Kredite fürs Haus liefen ja weiter.» Heute arbeitet sie Vollzeit als Kundenbetreuerin, zwei ihrer Kinder sind längst volljährig.

Andreas Darsow beteuert bis heute, die Tat nicht begangen zu haben. Seine Frau glaubt ihm. «Natürlich habe ich, gerade am Anfang, auch gezweifelt. Man kann niemandem in den Kopf gucken. Wer so etwas macht, ist krank. Ich kenne Andreas, seit ich 14 bin. Ich hätte gemerkt, wenn so etwas in seinem Kopf vorgeht.»

Das Reihenhaus in Babenhausen, direkt neben dem Tathaus, hat Anja Darsow nie aufgegeben. Das Verhältnis zu den heutigen Nachbarn ist gut. «Ich wollte meine Kinder nicht aus ihrem Zuhause reissen. Wie hätte ich mit dem Namen Darsow eine neue Wohnung finden sollen? Alle hätten doch gesagt: ‹Das ist doch die Frau vom Mörder!›»

Es gibt Tage, da hält sie es kaum aus zwischen all den Erinnerungen: «Es ist schlimmer, als wäre er gestorben. Ich kann keinen Schnitt machen. Wenn jemand stirbt, gibt es eine Trauerphase, die auch sehr schlimm ist. Aber hier …»

Die Sachen ihres Mannes hat Anja Darsow bis heute nicht weggeräumt. «Seine Unterwäsche zum Beispiel liegt noch im Schrank. Nach ein paar Jahren hielt ich sie in der Hand. Ich habe nicht erwartet, dass Kleidung, die nur im Schrank liegt, morsch werden kann.» Ihren Ehering trägt Anja Darsow nicht mehr. «Den habe ich vor drei, vier Jahren abgelegt. Es war einfach ein Gefühl. Vielleicht auch, um zu sagen: Jetzt bin ich mal dran.»

Denn ein Liebespaar sind Anja und Andreas nicht mehr. «Da würde ich mir etwas vormachen. Es gibt zwar im Gefängnis Eheräume. Aber das ist nichts für mich.  Wenn ich ehrlich mit mir bin, ist es nur noch eine Freundschaft.»

Wann ihr Mann freikommt, weiss die Ehefrau nicht. Es dürfte noch einige Jahre dauern. Und so stellt sie sich die Haftentlassung vor: «Er kommt aus dem Tor, hat einen kleinen Koffer in der einen, eine Pflanze in der anderen Hand. Eine sehr romantische Vorstellung.» Anja Darsows Augen werden feucht: «Ehrlich gesagt weiss ich nicht, was dann ist. Sind wir dann wieder das Ehepaar, das wir einst waren? Vielleicht möchte Andreas erst mal allein sein. Wenn er draussen ist, soll er machen, was er möchte. Er soll nicht gleich wieder in das nächste Gefängnis.»