Alzheimer
«In meinem Herzen bleibt Fernanda unsterblich»
Gottfried Bergmann aus Biel pflegte jahrelang seine Frau, die an Alzheimer erkrankt war. Zur Verarbeitung des Erlebten führte er Tagebuch.
Am 11. Oktober 2004 begann Gottfried Bergmann (83), Tagebuch zu schreiben. «Das tat ich immer in kritischen Zeiten meines Lebens», erzählt er. «Das war mir behilflich bei der Verarbeitung des Schicksals.» Diesmal setzte er sich mit der Alzheimer-Erkrankung seiner Frau auseinander, die im Alter von 78 Jahren im Jahr 2010 starb.
Rückblick: Im Jahr 1996 fiel Gottfried Bergmann aus Biel erstmals auf, dass mit seiner Frau, der Italienerin Fernanda Ferraris, etwas nicht stimmen konnte – beim Jassen mit Freunden. «Sie war eine gute Kartenspielerin. Doch plötzlich unterliefen ihr Anfängerfehler», erinnert er sich.
Es stellte sich später heraus, dass Fernanda an Alzheimer litt und ihr Gedächtnis nach und nach zerfallen würde. In den folgenden Jahren schritt die Erkrankung unerbittlich fort. So begoss Fernanda zum Beispiel die Blumen mit heissem Wasser und putzte sich die Zähne mit den Fingern. Mit der Zeit konnte sie sich nicht mehr waschen. Ihr Mann übernahm die Körperpflege, dabei wurde sie, vor allem beim Haarewaschen, manchmal aggressiv und stiess ihn weg.
Es gab aber auch humorvolle Momente. So waren Eier, die für einen Kuchen bereitgelegt wurden, plötzlich verschwunden. Später stellte sich heraus, dass Fernanda sie in einen Schrank gelegt hatte – und zwar unter die Stoffhühner, die sie darin aufbewahrte. «In solchen Momenten mussten wir beide herzlich lachen», sagt Gottfried Bergmann.
Ans Aufgeben dachte er nie. «Wir hatten 1958 geheiratet und viele wunderbare gemeinsame Erlebnisse. Das schweisst zusammen.» Zudem hatten sie sich versprochen, in guten wie in schlechten Zeiten zusammenzuhalten.
Schlimm waren die Nächte: «Meine Frau wachte oft zehn- bis zwölfmal auf.» Im September 2005 konnte er nicht mehr und rief das Pflegeheim Serena an, das einen freien Platz für Fernanda hatte. Der Abschied fiel schwer: «Du willst mich weggeben?», fragte sie erstaunt. «Ich erklärte es ihr mehrfach, sagte, dass ich es allein nicht mehr schaffe, sie aber oft besuchen würde.» Als sie es begriff, warf sie sich vor ihm zu Boden und umklammerte seine Füsse. Doch schon eine Stunde nach ihrem Einzug war sie wieder ganz munter und lächelte. Ihr Mann besuchte sie fast jeden Tag, und sonst sprangen die Kinder ein. Das Heim war eine grosse Erleichterung. «Daheim kümmerte ich mich Tag und Nacht um sie, hier konnte ich wieder nach Hause gehen und wusste sie in guten Händen.»
Dann, vor neun Jahren, war klar, dass Fernandas Leben enden würde. «Ich war bis zuletzt bei ihr», sagt Gottfried Bergmann. Sie starb friedlich in seiner Gegenwart.
Wie geht es ihm heute? «Ich lebe in einer Wohngemeinschaft», erzählt der Witwer, der drei Kinder sowie sieben Enkel und vier Urenkel hat. Durch Fernanda habe er gelernt, im Hier und Jetzt zu leben. «Ich widme mich gerne dem Musizieren, Zeichnen und Wandern.» Gerne beschäftigt er sich auch mit den Kindern seiner Mitbewohner. Er denkt jeden Tag an seine Frau: «In meinem Herzen bleibt sie unsterblich, und ich bin überzeugt, dass ich ihr in irgendeiner Form früher oder später wieder begegnen werde, denn wir leben nicht nur einmal auf dieser Welt.»
Buchtipp
Gottfried Bergmann hat ein berührendes und lesenswertes Buch geschrieben: «Chronik eines Sonnenuntergangs», Verlag Zytglogge, 33 Franken.