… und plötzlich ist nichts mehr, wie es war

Ausgerechnet im ­Advent starb ihr geliebter Ehemann. Von einer Sekunde auf die andere stand Yvonne ­allein da mit ihrer ­kleinen Tochter, hatte Schulden und war zutiefst ver­zweifelt.

Diesen Dienstag im Advent 2013 wird Yvonne Bökamp (42) aus Stukenbrock (D) nie vergessen. Das Wohnzimmer ist weihnachtlich geschmückt. Die damals sechsjährige Tochter Lea-Marie schläft fest im Kinderzimmer. Yvonne und ihr zwei Jahre jüngerer Ehemann Marcel machen es sich vor dem Fernseher gemütlich, mit Chips und einer Tasse Tee. Sie reden viel, lachen. Schliesslich schläft Marcel auf dem Sofa ein, Yvonne geht allein zu Bett.

«Mitten in der Nacht hat er plötzlich verzweifelt nach mir gerufen. Er bekam keine Luft mehr», erinnert sich die gelernte Verlagskauffrau, die sofort den Rettungsdienst verständigt. Innerhalb von wenigen Minuten kommt Hilfe. An das, was in der kommenden Stunde passiert, erinnert sich Yvonne nur schemenhaft. «Man hat mit allen Mitteln um das Leben meines Mannes gekämpft. Vergeblich. Irgendwann hat der Notarzt den Kopf geschüttelt.» Marcel liegt tot auf dem Teppich. Yvonne steht erschüttert daneben. Es ist das brutale Ende einer 15 Jahre währenden Liebe.

Doch das ist an diesem Winterabend Geschichte. Marcels plötzlicher Tod lässt Yvonne in einem Schockzustand zurück. «Ich musste funktionieren, die Kripo kam, der Pfarrer, die Familie. Und am nächsten Morgen musste ich meiner Tochter sagen, dass ihr Papa tot ist. Der schlimmste Moment meines Lebens.»

Die Zeit danach verschwimmt für Yvonne hinter einem Schleier aus Tränen. Zumal viele Fragen offenbleiben. Niemand weiss genau, was den baumstarken Marcel das Leben gekostet hat. «Die Ärzte tippten auf eine allergische Reaktion. Aber Genaues wusste man nicht», sagt Yvonne, die mit diesem Schicksalsschlag in ein ganz tiefes Loch fällt.

Ein Leben ohne Marcel? Undenkbar! Dazu drücken Schulden, und sie ist gerade arbeitslos geworden. Und dann ist plötzlich auch noch Marcels Familie gegen sie. «Lea-Marie ist erbberechtigt. Das Familiengericht beanspruchte für sie einen Teil des Elternhauses. Ich konnte gar nichts dagegen machen, hatte aber plötzlich einen riesigen Familienkrach.»

Verwitwet, arbeitslos, völlig auf sich gestellt: zu viel für Yvonne. Sie sieht überhaupt keine Zukunft mehr. Doch da ist Lea-Marie. Für das kleine Mädchen muss und will sie stark sein. Doch wie soll das gehen? «Man reisst sich einfach zusammen, weil man sich nicht hängen lassen darf», sagt Yvonne rückblickend. «Und man spürt schnell, dass so eine Grenzerfahrung stark macht. Man wächst am Schmerz. Ich habe das wirklich erlebt.» Wenn die Tochter zu Hause ist, will sie für sie da sein. Die beiden kochen zusammen, spielen, machen gemeinsam Schularbeiten. «Aber viel ging nicht. Ich war körperlich sehr schwach», erinnert sich Yvonne.

So vergeht fast ein Jahr. Erst danach hat sie wieder etwas Kraft, ihr Leben neu anzupacken. Die Wende bringen Mallorca-Ferien und eine Kur. Yvonne schaut mit Abstand auf ihr Leben. Sie sucht sich einen Therapeuten, damit sie wenigstens mit jemandem sprechen kann, regelt die Finanzen, bemüht sich erfolgreich um einen Arbeitsplatz, findet eine neue Wohnung.

Wenn sie heute, sechs Jahre nach der Katastrophe, in der Adventszeit die Kerzen anzündet, hat sie ihr Leben wieder im Griff. «Ich habe ein gesundes, tolles Kind, eine wunderbare Arbeit in einem Pflegeheim, eine schöne Wohnung. Wir können die Zeit geniessen, und Marcel ist immer bei uns.» An eine neue Liebe mag sie noch nicht denken. «Zu früh», sagt sie kopfschüttelnd. Aber sie kann wieder lachen, mit Freundinnen ausgehen. Was sie schade findet, ist der Verlust von Marcels Familie, besonders für Lea-Marie. «Ihr fehlen die Wurzeln, und nach dem Tod meiner Mutter vor drei Jahren hat sie von meiner Seite aus keine Oma mehr, zu der sie gehen kann. Das tut mir leid.»