Für seinen Traum engagiert sich die ganze Familie

Er gehört zu den vielversprechendsten Schweizer Jungtalenten im Tennis und wird oft mit Roger Federer verglichen. Wegen seiner grossen Spielfreude – und weil auch die Karriere des Berners Familiensache ist.

Seit Stunden posiert Dominic Stricker in verschie­denen Outfits für seinen Hauptsponsor. Es ist heiss an diesem Herbstnachmittag in Biel, die Sonne brennt dem 19-Jährigen ins Gesicht – es zeigt bereits eine gewisse Rötung. Doch der Grosshöchstetter macht sich nichts daraus. Sogar abends um 18 Uhr ist er noch bester Laune, lacht und macht Sprüche. Auch seine Fa­milienmitglieder, die Dominic begleiten, sind gut aufgelegt. Alle setzen sich nach dem langen Tag konzentriert hin für das Interview.

Seit diesem Jahr spielt Stricker nicht mehr bei den Junioren. Dort hat er sich einen Ruf als Ausnahmetalent erarbeitet. Nun muss er in Challenger-Turnieren genug Punkte holen, um seinen Platz in der Weltrangliste so weit zu verbessern, dass er bei den besten Profis mitspielen darf. Oder wie er es ausdrückt: «Ich werde vom Gejagten zum Jäger.» Im Mai in Genf bestritt er erstmals ein ATP-Turnier und schaffte es bis in die Viertelfinals. In den vergangenen Monaten konnte er sein ATP-Ranking von Rang 1168 auf Rang 224 verbessern. «Wir sind froh um jedes Turnier, das er spielen kann. Ab Ranking 300 oder höher hat man kaum Chancen», weiss der Vater.

Ohne seine Familie wäre das Jungtalent heute nicht da, wo er ist. Seine Eltern waren beide Tischtennis-Profis und wissen, was es für eine solche Karriere braucht. Sie sind es denn auch, die zusammen mit Dominics Schwester Michèle (21) alles für den Erfolg ihres Sprösslings tun. «Seit seinem Sieg im Einzel und Doppel an den French Open der Junioren 2020 und dem Erreichen der Viertelfinals am ATP-­­Turnier in Stuttgart im Juni hat es extrem angezogen mit Anfragen», erzählt Mutter Sabine (47).

Die Familie opfert praktisch ihre ganze Freizeit für Dominics Ziel: Michèle, die in der Ausbildung zur Lehrerin ist, kümmert sich um seine Website und Social-­Media-Kanäle. Vater Stephan (50), eigentlich Polizist, und Mutter Sabine sind für das Organisatorische verantwortlich. «Wir haben Dominics Talent schon früh erkannt», sagt Stephan. Dominic sei schon als Knirps von allen Ballsportarten fasziniert gewesen. Etwa mit fünf Jahren entschied er sich für Tennis: «Wenn man wirklich etwas erreichen will, muss man so früh beginnen. Er hatte immer Freude am Spiel, sogar an Pflichtanlässen wie heute mit Shootings und Presseterminen ist er stets am Lachen.» Deshalb war für alle klar: Sie helfen ihm, seinen Traum wahr zu ­machen. «Das beherrscht unser Familienleben und ist natürlich nicht immer leicht.» Hinzu kommen die Kosten für Reisen, Unterbringung und Verpflegung, die die Strickers selbst tragen müssen.

Nicht nur die Familie setzt sich für Dominic ein. Auch Verwandte und Bekannte – alle unterstützen ihn. Die Grosseltern fuhren ihn früher jeweils nach Biel ins Training. Inzwischen ist Dominic unter der Woche ständig in Biel, wo er das Sport-KV macht und mit seinem Trainer Sven Swinnen fünf bis sechs Stunden täglich trainiert. Natürlich gibt es bei Dominics KV-Ausbildung immer wieder Absenzen. «SwissTennis hat zum Glück eine eigene Leh-rerin, die ihm bei Ausfällen im Unterricht hilft, auf dem Laufenden zu bleiben», erklärt Sabine.

Das alles ist für Dominic nicht selbstverständlich: «Ich bin sehr dankbar, dass ich durch den Einsatz all dieser Menschen diese einzigartige Chance be­komme. Das ist echt cool.» In einem Jahr ist er mit dem KV fertig. Die Ausbildung zum Tennisprofi wird länger dauern. «Heute ist Tennis anders als früher. Da es schneller und kraft­intensiver ist, sind die meisten erst mit ungefähr 25 Jahren so weit», erklärt Stephan. 25 ist denn auch die Marke, die die Eltern Dominic gesetzt haben: Bis dahin helfen sie ihm, danach muss er auf eigenen Beinen stehen. An Ehrgeiz fehlt es dem Jungstar nicht. Den hat ihm sein Vater eingeimpft, indem er ihn unab­lässig anspornte: «Wenn nach dem Training etwas noch nicht richtig sass, ermunterte ich ihn, weiter daran zu feilen. Anfangs fand er das nicht so toll, aber er merkte dann doch, dass es der richtige Weg ist.» Michèle ergänzt: «Nach dem Training macht Dominic zu Hause noch Krafttraining.» Auch hier hilft die Familie: Stephan macht die Workouts mit seinem Sohn. Michèle bringt ihr tänzerisches Talent in die Trainings ein, was wichtig ist für Dominics Koordination. Und Sabine kümmert sich um «Rückensachen».

Wenn Dominic mal einen freien Nachmittag hat, erholt er sich beim Golfspielen, ein Hobbysport der ganzen Familie. Wie Tisch­tennis: Nach dem Shooting in Biel duellieren sich Vater und Sohn. Macht Dominic einen Punkt, meint er scherzhaft: «Il est null!» (Er ist eine Null).

Ein weiteres Zeichen, dass er auf dem richtigen Weg ist, erhielt Dominic von Roger Federer (40) höchstpersönlich: Fedex lud ihn zum gemeinsamen Training nach Dubai ein. «Er sagte mir, dass ich an meinem Aufschlag arbeiten müsse», berichtet Dominic. Als Linkshänder habe er einen ge­wissen Vorteil, da das für die Gegner ungewohnt ist. Bereits werden Parallelen gezogen zwischen dem Berner Newcomer und dem Basler Tennishelden. Dominic bleibt bescheiden: «Es ist cool, dass man mich mit Roger vergleicht, aber das ist noch ein langer Weg. Zuerst muss ich mal ein Grand Slam gewinnen und dann … die Zukunft wird es zeigen.»