Alles mit links

In einer Welt von Rechtshändern ­haben es Linkshänder nicht leicht. Ganz besonders jene, die umgeschult werden. Die Tragik von ­unterdrückten Linkshändern ist, dass sie nicht sich selbst sein können.
 
Marina Neumann, selber Linkshänderin, arbeitet als Psychologin mit umgeschulten Linkshändern und hat ein Buch darüber geschrieben. «Linkshänder gehen eher intuitiv oder kreativ an Probleme heran, während die Rechtshänder eher logisch und Schritt für Schritt vorgehen», erklärt sie. «Linkshändige Kinder fallen oft dadurch auf, dass sie ein starkes soziales Empfinden haben. Sie merken schnell, wenn es einem anderen Kind schlecht geht, oder es ungerecht behandelt wird.»
 
«Zwei linke Hände haben», «linkisch sein», «ein linker Typ» – Linkshänder werden auch sprachlich diskriminiert. Die GlücksPost befragte die Psychologin zu diesem Thema.
 
GlücksPost: Woher kommt 
diese Diskriminierung, sogar 
in der Sprache?
Marina Neumann (Bild): Linkshänder sind seit Jahrhunderten aus ideologischen und religiösen Gründen unterdrückt worden und deshalb in der Minderheit. Rechtshändigkeit wurde immer höher bewertet, das zeigt sich auch in Aussagen wie «auf den rechten Weg kommen».
 
Wie ist das Verhältnis von Links- 
und Rechtshändern in Zahlen?
Statistiken gehen von 10 bis 15 Prozent Linkshändern aus. Da es viele unentdeckte Linkshänder gibt, ist der Anteil wohl höher. Viele Forscher glauben, dass die Verteilung von Links- und Rechtshändern 50 zu 50 ist. Das denke ich auch.
 
Woher kommt die Dominanz 
der Rechtshänder?
Links- oder Rechtshändigkeit sind angeboren. Sie ist allerdings nicht sofort sichtbar, sondern zeigt sich erst, wenn der Säugling motorisch in der Lage ist, zielgerichtet mit 
einer Hand etwas zu greifen.
 
Tickt das Hirn anders?
Die rechte Gehirnhälfte ist zu­ständig für das kreative, intuitive, ganzheitliche Denken, die linke für das lineare, abstrakte und ­logisch-rationale Denken. Nor­malerweise arbeiten die Gehirnhälften gut zusammen und sind bei jeder Tätigkeit beteiligt – egal ob Links- oder Rechtshänder. 
Der Unterschied ist, dass bei Linkshändern die rechte Hemisphäre die dominante ist und bei Rechtshändern die linke. Linkshänder sind in ihrer Wahrnehmung, Problemlösung und dem Lernverhalten eher rechtshemisphärisch geprägt. Wenn ein Linkshänder etwas mit links tut, geht von der linken Hand die Infor­mation zunächst in die rechte Hemisphäre und dann in die linke. Bei Rechtshändern ist es umgekehrt.
 
Auf was sollten Eltern 
eines Linkshänders achten?
Sie sollten das Kind in seiner ­Händigkeit unterstützen, damit 
es diesbezüglich ein gutes Selbstbewusstsein entwickeln kann. Ihm sollte erlaubt werden, linkshändig den Umgang mit Messer und Gabel zu erlernen, die linke Hand zum Basteln und Malen 
zu benutzen, und es sollte mit ­guten Linkshänderstiften aus­gestattet werden. Linkshänder sind mit links erfolgreich, egal, was sie tun. Deshalb ist es so wichtig, die Linkshändigkeit zu fördern.
 
Was sind die Folgen 
einer Umerziehung?
Sie ist ein massiver Eingriff in die Persönlichkeit, die zu einer Überlastung der linken, nicht dominanten Gehirnhälfte und zu einer Unterdrückung der dominanten rechten Gehirnhälfte führt. Im Vorschulalter kann dies zu Entwicklungsverzögerungen und feinmotorischen Problemen führen. Sprachprobleme können ebenso die Folge sein oder Bettnässen und Nägelkauen. Und es hat oft auch psychische Auswirkungen. Kinder können ein chronisches Trotzverhalten und eine Neigung zu starken Wutaus­brüchen entwickeln.
 
Wer kommt in die 
Linkshändertherapie?
Kinder, die unter unerklärlichen Lernschwierigkeiten lernen. Hier geht es zunächst darum, herauszufinden, ob sie unterdrückte Linkshänder sind. Es kommen aber auch Erwachsene, die wissen, dass sie im Kindesalter auf rechts umerzogen worden sind und die unter Umschulungs­folgen leiden. Und Menschen, die nicht sicher sind, ob sie Linkshänder sind und sich testen lassen möchten.
 
Wie sieht die Therapie aus?
Wenn ich eine unterdrückte Linkshändigkeit feststelle, sollte sich der Betroffene mit der Linkshändigkeit anfreunden. Erst 
dann stellt sich die Frage nach 
der Rückschulung. Wird sie ­gewünscht, überlegen wir, wie dieser Prozess in den Alltag ein­gebaut werden kann. Die Betroffenen bekommen eine praktische Anleitung für das Schreiben­lernen mit links. Erfahrungs­gemäss brauchen Kinder einige Monate dafür, bei Erwachsenen dauert die Umstellung oft Jahre.